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oeffentlich:25jahre:vom_inneren_aufbau

Vom inneren Aufbau der Siedelungsgenossenschaft Freidorf

vom_inneren_aufbau.pdf 29MB !

Von
Dr. Henry Faucherre
1921

1. Einleitung

Wer es unternimmt, die Bedürfnisse der Menschen
nach ihrer Dringlichkeit der Reihe nach aufzuzählen, der
wird unter den physischen, d. h. den für die Lebenserhal-
tung unentbehrlichen Bedürfnissen zuerst die Nahrung er-
wähnen.

Doch stehen den Nahrungsbedürfnissen in unseren
Klimaten an Dringlichkeit nahezu gleich die Sorge um
Kleidung und Wohnung.

Die Wohnung hat für den Kulturmenschen deshalb
eine ganz besondere Bedeutung, da sie nicht nur äussere
Bedürfnisse nach Schutz vor Unbilden der Witterung zu
befriedigen hat; die Wohnung nimmt die Familie auf und
sie ist recht eigentlich die Voraussetzung, ohne welche ein
behagliches Familienleben kaum zu gedeihen vermag. Von
der Wohnung hängt es im wesentlichen ab, ob eine Familie
sich wirtschaftlich, sozial, geistig, sittlich, mit einem Wort
kulturell entwickeln kann oder nicht.

Die Wohnungsfrage ist daher ein Problem, mit dem
sich jeder ernsthafte Mensch gewissenhaft auseinander-
setzen muss, und das um so mehr, als ohne Übertreibung
behauptet werden darf, dass heute der Begriff Wohnungs-
frage sich zum grossen Teil deckt mit Wohnungsnot und
Wohnungselend.

Die Wohnungsfrage als ein Bestandteil der sozialen
Frage ist eine Begleiterscheinung des modernen Industria-

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lismus und der wachsenden Grossstädte, die das Ideal des
Einfamilienhauses, des Eigenheimes als Hort des Familien-
sinnes und Familienglückes zerstörte.

Das kapitalistische Zeitalter gebiert das Miethaus, die
Wohnkaserne, die der Seele des Familienlebens so grossen
Schaden zugefügt hat. Wie überall, wurde die Wohn-
kaserne auch im Schweizerlande ein Geschäft. Der Haus-
besitzer — so ungefähr urteilt der in kommunalen Fragen
wohlbewanderte Altpfarrer Pflüger — ist oft genug
Häuserbesitzer, der das Vermieten von Wohnungen ge-
werbsmässig betreibt. Der Kauf und Verkauf von Liegen-
schaften und Wohnhäusern wurde zu einem berufsmässigen
Erwerbszweig; es entstand die Boden-, Bau- und Häuser-
spekulation, die den Prozess der Steigerung der Boden-
werte und damit der Hauszinse mächtig förderte. In den
Städten, denen die Wohnungsfrage recht eigentlich an-
gehört, wohnt der grösste Teil der Bevölkerung zur Miete
und ist daher in hohem Grade von den Grund- und Haus-
besitzern abhängig.

Diese Verhältnisse bewirkten nach verschiedenen
Richtungen hin sehr schädliche Folgen.

Es ist bekannt, einen wie entscheidenden Einfluss die
Wohnung auf die Gesundheit ausübt. Die Mietwohnungen,
vorab in industriellen Zentren, führen zu vielen gesundheit-
lichen Übelständen. Da ist vor allem zu erwähnen die
Enge der Wohnungen, Feuchtigkeit und schlechte Luft.

Natürlich üben solche Wohnungsverhältnisse eine ver-
derbliche Wirkung auf die Gesundheit der Bewohner aus.
Damit im engsten Zusammenhang steht erhöhte Kinder-
sterblichkeit, Tuberkulose, Degeneration. Bricht in einer
Mietskaserne eine Krankheit aus, besteht die Gefahr rascher
Ansteckung; daher sind übervölkerte Industriezentren die
eigentlichen Herde von Haus-, Strassen- und Quartier-
epidemien.

16

Im Jahre 1889 hat Professor Karl Bücher in der Stadt
Basel eine erste erschöpfende Wohnungsenquöte unter-
nommen, die zu höchst bemerkenswerten Schlüssen führte.
Aus diesem Bericht geht ganz allgemein hervor, dass die
ärmste Klasse teurer wohne als die Reichen, und dass, je
mangelhafter die Wohnungsverhältnisse seien, desto höher
sich der relative Preis der Wohnung gestalte. Die klein-
sten Wohnungen sind die ungesundesten, deshalb führen
die kleinsten Wohnungen zum häufigsten Wohnungs-
wechsel, was wiederum den von einem Arbeiter gezahlten
Mietpreis erhöht. Je kleiner und teurer die Wohnungen
sind, desto öfter kommen die Untermieten (Aftermieten)
mit allen ihren bekannten Übelständen (in moralischer
und hygienischer Beziehung) vor.1)

Hatten wir schon Jahrzehnte vor dem Ausbruch des
Weltkrieges eine Wohnungsnot, die zwar durch mannig-
fache Massnahmen (gesetzgeberische und private Reform-
bestrebungen) zu bekämpfen gesucht wurde, so entwickelte
sich dieselbe während des Krieges zu einem Grade und
Umfang, dass sie gebieterisch nach Abhilfe ruft, soll sich
das Wohnungselend nicht zu einer eigentlichen Wohn-
katastrophe auswachsen.

Die Kriegsnöte und ihre Auswirkungen drängen nach
Schaffung neuer Lebensformen der Gemeinschaft; und
dabei zeigt es sich, dass die Menschen und ihre Verhält-

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nisse nicht gesunden können, solange wir sie weiter in
ihren schlechten Wohnungen hausen lassen.

Für die Menschheit handelt es sich jetzt darum, eine
Organisationsform des gemeinschaftlichen Zusammen-
lebens zu finden, durch die der einzelne Mensch seine
Individualität und freie Bewegung nicht verliert und nicht
aufgeben muss, aber dennoch auf die zweckmässigste
Weise in einen Gesamtorganismus eingeordnet wird.

Diese Organisationsform tritt uns in glücklichster
Weise in der Genossenschaft entgegen.

Die freie Bau- und Wohngenossenschaft hat sich zur
Aufgabe gestellt, die Wohn-, Miet- und damit auch die
Familienverhältnisse von Grund auf zu reformieren.

Es handelt sich aber nicht nur darum, dass gebaut
wird, sondern wie und wo gebaut werden soll. Und dabei
ist folgender Grundsatz von fundamentaler Bedeutung:

«Von welchem Standpunkt aus man den gesunden
Wohnungsbau auch beurteilen mag, er muss aus der Enge,
dem Lärm und dem Widersinn der Städte oder grossen
Bevölkerungszentren hinausgezogen werden auf das Land,
damit ihm im Falle der Erfüllung nicht das Beste versagt
bleibt: Weite, Ruhe, Luft und Sonne und besonders das
Fundament des Lebens, der Grund und Boden.»2)

Im Schweizerland hat eine starke Bau- und Wohn-
genossenschaftsbewegung eingesetzt.

Die Hauptergebnisse einer von der statistischen Ab-
teilung des V. S. K. vorgenommenen Erhebung über die
Bau- und Wohngenossenschaften der Schweiz lassen sich
in die folgende kleine Tabelle zusammenfassen:

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1919/20 bzw. 1920
1913
bzw.
1913/14
vor dem
Kriege
gegründet
seit dem
Kriegsbe-
ginn ge-
gründete
Genossen-
schaften
davon
noch kein
Rech-
nungsjahr
abge-
schlossen
Summe
1. Zahl der berichtenden Genossenschaften 19 19 17 18 54
2. Zahl der Mitglieder 1565 848 1356 - 2204
3. Wohnungsinhaber 677 828 438 - 1266
4. Häuser 342 421 324 - 745
5. Wohnungen 676 793 439 - 1232
6. Zahl der durch die Genossenschaft gebauten Häuser - ? 323 - ?
7. Zahl der im Bau begriffenen Häuser - 38 79 278 395
8. Zahl der im Bau begriffenen Wohnungen - 107 83 361 551

Das genossenschaftliche Wohnungsproblem hat jedoch
keine der bestehenden schweizerischen Baugenossen-
schaften so tief und umfassend Umrissen, wie die Sie-
delungsgenossenschaft Freidorf auf dem Schänzli bei
St. Jakob-Basel, in der Gemeinde Muttenz (Baselland).

In den Jahren 1919—1921 ist hier ein Werk entstanden,
das berufen sein kann, im Zusammenleben der Menschen,
in ihrem Verhältnis und ihrer Gesinnung zueinander
Grosses und Segensreiches für die Zukunft zu wirken.

Daher möchten wir unseren Lesern in den folgenden
Blättern vom Entstehen, vom Zweck und den Zielen der
Siedelungsgenossenschaft Freidorf einiges erzählen.

Bevor wir jedoch damit beginnen, wird es manchem
Leser willkommen sein, zu vernehmen, was das Wort
Siedelungsgenossenschaft eigentlich bedeutet.

1. Siedelung ist ein altes deutsches Wort und leitet
sich ab von siedeln = sesshaft, ansässig machen. Sedel

19

oder sidel bedeutet so viel wie Sitz, Ruheplatz, Wohnsitz.
(Einsiedel, Einsiedler, Kloster Einsiedeln.)

Wenn wir heute von einer Siedelung oder Ansiede-
lung sprechen, so wollen wir damit andeuten, dass eine
Gruppe von Menschen sich irgendwo, vorzugsweise auf
dem Lande, niedergelassen hat, um daselbst ihre Wohn-
stätten zu errichten.

2. Genossenschaft. Um den Sinn auch dieses ur-
deutschen Wortes3) richtig erläutern zu können, sei an die
alte Geschichte erinnert, die von den sieben Stäben handelt.

Ein Vater hatte sieben Söhne, die oft miteinander
uneins waren. Uber dem Zanken und Streiten versäumten
sie die Arbeit. Ja, einige böse Menschen hatten im Sinne,
sich diese Uneinigkeit zunutze zu machen und die Söhne
nach dem Tode des Vaters um ihr Erbteil zu bringen. Da
liess der ehrwürdige Greis eines Tages alle sieben Söhne
Zusammenkommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest
zusammengebunden waren, und sagte: «Demjenigen von
euch, welcher dieses Bündel Stäbe entzweibricht, zahle
ich hundert Taler bar.» Einer nach dem andern strengte
alle seine Kräfte an, und jeder sagte nach langem vergeb-
lichem Bemühen: «Es ist gar nicht möglich!»

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«Und doch», erwiderte der Vater, «ist nichts leichter.»
Er löste das Bündel auf und zerbrach einen Stab nach dem
andern mit geringer Mühe. «Ei», riefen die Söhne, «so
könnte es ein kleiner Knabe.» Der Vater aber sprach: «Wie
es mit diesen Stäben ist, so ist es mit euch, meine Söhne.
Solange ihr fest zusammenhaltet, werdet ihr bestehen,
und niemand wird euch überwältigen können. Wird aber
das Band der Eintracht, das euch verbinden sollte, auf-
gelöst, so geht es euch wie den Stäben, die hier zerbrochen
auf dem Boden umherliegen.»

Das Haus, das Dorf, das ganze Land
Bestehet durch der Eintracht Band.

Der Kerngedanke der Genossenschaft ist ausgespro-
chen in den Worten des Vaters: «Solange ihr fest zu-
sammenhaltet, werdet ihr bestehen.»

Wirtschaftlich ausgedrückt, können wir sagen, dass
Genossenschaften gegründet werden, um einige der Übel-
stände zu vermeiden, denen die Menschen ausgesetzt sind,
wenn sie in ihrer Vereinzelung handeln, um einige Vor-
teile zu erlangen, welche sie sonst entbehren müssen.

Wörtlich genommen bedeutet Genossenschaftswesen
Zusammenarbeiten; der Engländer sagt: co-operieren. Zu-
sammenwirken bringt in allen Fällen und ohne Ausnahme
Kraft hervor. Viele Hände leisten schnelle Arbeit. Was
ein Mann nicht fertig bringt, das können zwei. Was für
eine kleine Zahl unmöglich ist, ist leicht für viele. Aber ehe
viele Zusammenarbeiten können, müssen sie einig sein,
müssen sie ihren Zweck kennen, ein gemeinsames Interesse
daran haben und durch ein gemeinsames Band verbunden
sein. (King.)

Den tiefen Sinn, der in den Bezeichnungen Genosse
und Genossenschaft verborgen liegt, hat uns Prof. Dr. J.

21

Fr. Schär (Basel) einmal mit folgenden Worten ausein-
andergesetzt:

«Eidgenossen! Mit diesem Grusse drücken sich
Schweizerbürger die Hand, im Bewusstsein, einem herr-
lichen, schönen und freien Lande als gleichberechtigte
Glieder anzugehören, und mit dem stillen Gelöbnis, dem
Vaterlande in Gesinnung und Tat zu dienen.

Gesinnungs- oder Parteigenossen, oder kurzweg Ge-
nosse, ist die Anrede, die sich die Anhänger der Sozial-
demokratie zurufen, wenn sie tagen und raten über die
wichtigen Fragen des politischen, sozialen und wirtschaft-
lichen Lebens.

Spielgenossen waren einst die Männer, die jetzt noch
in gereiften Jahren als Jugendfreunde treu Zusammen-
halten.

Kampfgenossen sind die Kriegskameraden, die einst
gemeinsam dem Tod mit kaltem Blut ins Antlitz geschaut.

Leidensgenossen sind wieder andere geworden, die
Kummer, Not und Unglück gemeinsam getragen und ihre
Leiden dadurch erleichtert haben.

Wahrhaftig, Genosse ist ein viel gebrauchtes und viel-
sagendes Wort. Ohne uns lange zu besinnen, sagt es uns,
dass es ein festes Band bedeutet, das uns für die ganze
Lebenszeit in Freud und Leid zusammenhält. Es klingt
wie Treue, Freundschaft, gegenseitige Dienstleistung, Soli-
darität. Es deutet auch hin auf unlösbare Lebensgemein-
schaft, Zusammenschluss von Gleichgesinnten und Gleich-
berechtigten, zu gemeinsamer Tat. Es schliesst aber noch
mehr in sich: der Genosse fühlt sich als Teil eines Ganzen,
dem er sich als dienendes Glied anschliesst und unter-
ordnet, um in gemeinsamer Kraft höhere Zwecke zu er-
reichen, als er es in seiner Isolierung vermöchte, um in der
Gemeinschaft des Strebens und Wirkens höheren Lebens-

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genuss zu empfinden und seinem Dasein ein höheres Ziel
zu stecken.»

Dies ist der tiefere Wesensgehalt der Genossenschaft.

3. Siedelungsgenossenschaft. Jetzt wird es uns auch
leicht, zu verstehen, was eine Siedelungsgenossenschaft ist.
Sie ist Siedelungstätigkeit auf genossenschaftlicher Grund-
lage, und zwar früher vorwiegend in dem Sinne einer ge-
nossenschaftlichen, gemeinsamen Errichtung von Siede-
lungen, dagegen heute mehr im Sinne genossenschaftlichen
Lebens und Webens der Siedler als Gemeinschaft.

Im genossenschaftlichen Siedelungswerk liegt ein
grundlegender Gedanke des positiven Staatsaufbaues ver-
borgen.

Als uralte Sippen und Stämme sich in den Kämpfen
der grossen Völkerwanderungen Neuland errungen hatten,
setzten (siedelten) sich die Weg-, Fahr- und Kampfgenos-
sen rottenweise und begannen den Boden der gemeinsamen
Mark zu roden. In diesem Siedelungswerke erstand mit
der Hack- und Pflugkultur das Haus des Bauers.

Als sich die Siedler und Roder noch auf der Wande-
rung befanden, waren sie Kampf-, Kriegs- und Raub-
genossen, wie sie ehedem Jagdgenossen waren. Nun wur-
den sie Baugenossen.

Platon, der griechische Philosoph, lässt den Staat aus
der Siedelungsgenossenschaft entstehen. «Das erste und
grösste aller Bedürfnisse», sagt er im zweiten Buche seines
Werkes über den «Staat», «ist die Beschaffung von Nah-
rung, das zweite hängt mit der Wohnungs-, das dritte
mit der Kleidungs- und ähnlichen Fragen zusammen. Ein
Staatswesen, glaube ich also, entsteht aus dem Grunde,
weil eben jeglicher von uns sich nicht selbst genug ist,
vielmehr viele andere nötig hat. So zog denn einer den
andern bald zu dieser, bald zu jener Unterstützung herbei,
und da wir vieles bedürfen, so versammelten wir auch

23

viele zu einer gemeinsamen Siedelung als Genossen und
Helfer. Dieser Wohngemeinschaft legten wir den Namen
Staat bei.»

Nach Platon ist, worauf der Genossenschaftsforscher
Munding (Basel) aufmerksam macht, die Keimform des
Staates der Nachbarschaftsverband, d. h. die Bau- und
Wohngemeinschaften der ersten bodenständigen Land-
besiedler und Landbauer. Die Genossen und Helfer der
ersten Siedler waren die Nahbauer, woraus das Wort
Nachbar und der Begriff der Nachbarschaft entstand. Aus
dieser primitiven Keimform haben sich allmählich Weiler,
Dörfer, Gemeinden, Markgenossenschaften, Kantone und
schliesslich Staaten entwickelt.

Dieser Gedanke ist wichtig genug, um noch etwas
näher ausgeführt zu werden.

Die Markgenossenschaften, aus welchen die Eid-
Genossenschaft organisch herausgewachsen ist, sind ger-
manisches Kulturgut.

Wie der Germane überhaupt, so hat besonders der
schweizerische Alemanne die genossenschaftlichen Tradi-
tionen seines ursprünglichen Volkstums mit zäher Kraft
bewahrt. Sitte und Gesinnung sind von genossenschaft-
lichem Geiste durchtränkt und es sind gerade die ältesten
Formen gemeinschaftlichen Lebens, die im Unterbewusst-
sein der Volksseele sich gleichsam eine Stätte ewigen Da-
seins bereitet haben, aus der sie nicht zu verdrängen sind,
so sehr auch die Umschichtung der Lebensbedingungen
auf sie drücken mag.

Von den Fluten der Völkerwanderung getrieben und
im Kampfe um den Nahrungsspielraum von andern ger-
manischen Völkerschaften bedrängt, wälzten sich im
fünften Jahrhundert n. Chr. alemannische Heereshaufen
von den Gegenden des Mittel- und Oberrheins und der
Donauquelle her in die Gebiete der heutigen Eidgenossen-

24

schaft. Wo sie wieder zur Ruhe kamen und sich setzten,
wurden sie Ackerbauern, Viehzüchter und Hirten, aber es
war der Geist der «Hundertschaft», ihrer militärischen
Organisation, in dem sie die genossenschaftlichen Grund-
lagen ihres bodenständigen Lebens formten. Eine Hundert-
schaft umfasste 100—120 Familien, die in einem bluts-
verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander standen und
eine oder mehrere Sippen bildeten. Alle streitbaren
«Mannen» waren Kampfgenossen und gingen im Auszug
unter Führung und Befehlsgewalt selbstgewählter Häupt-
linge dem Trosse der Hundertschaftsgemeinde voran. Im
Rahmen der Familie und der Sippe herrschte der Haus-
vater (pater familias), und aus dem Kreise der ange-
sehensten, tüchtigsten, tapfersten und edelsten4) Haus-
väter, der Träger der familiären Autorität, gingen die
Häuptlinge hervor. Aus einer Anzahl von Hundertschaften
bestand das Volk. Was die Volksgenossenschaft an Land
besass, war speergewonnenes Gut. Die Heerführer und
Häuptlinge verteilten es unter die Hundertschaften. Diese
nahmen es in gemeinsamen Anbau, während die Ernte
nach Anteilen in den genossenschaftlichen Haushalt der
Familiensippen floss. Aus dem Wesen und Geist der Wehr-
verfassung und der Waffenbrüderschaft heraus wurden
die Grundsätze für die Bewirtschaftung der hundertschaft-
lichen Marken entwickelt. Wie man in Reih und Glied
mit dem Feinde rang, so nahm man in gemeinsamer
Rodung und Bearbeitung den Kampf mit den feindlichen
Urmächten des Bodens auf.

Was man im Rahmen der einzelnen Hundertschaft
sesshaft bebaute, in festen Besitz nahm und nicht mehr
als Teil des ganzen Volksgebietes im Turnus der Bewirt-
schaftung gegen andere Stücke regelmässig auswechselte,

25

ward zum engern Heimatlande. Aber auch innerhalb der
eingeborenen Hundertschaften sonderten sich in fried-
licher Alltagsarbeit allmählich Sippengemeinden aus und
bildeten als solche selbständige Wirtschaftskörper, engere
Wirtschaftsgemeinschaften, die das Land unter Zustim-
mung der Hundertschaftsgemeinde nach Anweisung des
Häuptlings bebauten. Der militärische Gesichtspunkt ver-
lor seine überragende Bedeutung, und mehr und mehr trat
der Charakter der Wirtschaftsgemeinde aus dem Zellen-
gewebe der Familie hervor. Bald in einem einzigen Dorfe,
bald in mehreren Weilern, bald nur in Einzelhöfen siedel-
ten sich die Familien einer Sippe dauernd an und begannen
innerhalb der älteren Wirtschaftsverfassung der Hundert-
schaft, auf der ihnen ausgeschiedenen Mark (Allmend) mit
ihren Fluren, Weiden und Wäldern eine kleinere Wirt-
schaftsgemeinschaft stetigen Charakters zu bilden5).

Allmend, in Verbindung mit dem Begriffe March, das
ist heute Gemeindeland; man versteht darunter «den aus
der alten Mark-, Dorf- oder Hofgenossenschaft stam-
menden, nicht aufgeteilten Rest der gemeinen Mark, so-
weit es ausschliesslich oder doch vorzugsweise von den
berechtigten Genossen genutzt wird. Eine Allmend besteht
aus Wiesen, Feldern, Wäldern, Weiden und Gewässern.
Die Allmend lässt sich als Rechtsinstitut im Mittelalter
und bis in die neueste Zeit überall in der Schweiz nach-
weisen.» (Reichesberg.)

Der Typus der sippenmässigen Markgenossenschaft,
den wir skizziert haben, «hat sich in den Gebieten der ale-
mannischen Schweiz länger und reiner erhalten als irgend-
wo in germanischen Landen, aber nicht weil da der Puls
des germanischen Menschen an sich kräftiger schlug, son-
dern weil die natürlichen Bedingungen des vorwiegenden

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Gebirgslandes für die Erhaltung markgenossenschaftlicher
Lebensart, Sitte und Gesinnung günstiger waren.6)

Wenn Keime zu neuem gesellschaftlichem Leben sich
ansetzen, so fängt der Kreislauf wiederum am Ursprung
an. Die Siedelungsgenossenschaft «Freidorf» ist ein solcher
Keim. Soll er zur segenspendenden Frucht reifen, so muss
er sorgsam gehegt und gepflegt werden, damit er auf-
quellen und sich kräftig entfalten kann.

2. Der Siedelungsgedanke in der Genossenschaftstheorie

Die grossen Führer und schöpferischen Geister in der
Gedankenwelt der Genossenschaftsbewegung haben früh-
zeitig erkannt, dass der Zusammenschluss von wirtschaf-
tenden Menschen nicht bloss das eine Ziel verfolgen
dürfe und könne, die ökonomische, materielle Lage der
organisierten Genossen zu heben und zu verbessern, son-
dern dass sie gleichzeitig danach streben müssen, den
einzelnen Menschen für und durch die Familie geistig und
sittlich zu fördern; denn allein die Vielheit sittlich reiner
und gesunder Familien vermögen Gemeinde, Staat und
Gesellschaft lebensfähig und kräftig zu gestalten und zu
erhalten.

Wer sich mit suchender Liebe in die grossen Mensch-
heitsprobleme versenkt, dem wird die Erkenntnis werden,
dass keine wirtschaftliche Organisation und keine poli-
tische Partei auf die Dauer erträglichere Verhältnisse wird
schaffen können, wenn es nicht gelingt, den einzelnen
Menschen zu wandeln, zu bessern, mit einem Worte zu
erziehen.

27

Jeder Mensch hat gute und schlechte Anlagen; die
Erziehungsaufgabe besteht darin, die guten Anlagen zu
fördern, zu entwickeln und die schlechten absterben zu
lassen. Alles Leid, jede Not der Welt lässt sich nach
Dantes göttlichem Gesang zurückführen auf die drei Tiere,
die die Menschheit verfolgen: den Panther, der die rohe
Sinnenlust, den Löwen, der den Stolz und den Ehrgeiz,
und die Wölfin, die den Geiz, die Habsucht, den Neid und
den Egoismus, aber auch die Verschwendung repräsen-
tiert. Arm und reich, Hohe und Niedere, jung und alt
kranken und tragen an diesen verderblichen Anlagen des
menschlichen Geschlechts. Zu dieser wichtigen Erkenntnis
muss nun aber der Glauben an die Menschheit sich ge-
sellen.

Diesem Glauben haben unsere Genossenschaftsführer
je und je, ja zum Teil in ergreifender Weise Ausdruck
gegeben.

Am 22. März des Jahres 1921 hat eine kleine Ge-
meinde im Schweizerland in aller Stille den 150. Geburts-
tag H. Zschokkes gefeiert. Zschokke hat uns in seinem
«Goldmacherdorf» den ersten schweizerischen Genossen-
schaftsroman geschenkt, und darin finden wir das herr-
liche Bekenntnis: «Und doch ist es wahr, die Menschen
sind so böse nicht, und nicht so herzlos, wie man oft sagt.
Man soll den Glauben an die Güte der Menschheit nie
verlieren.»

An einer andern Stelle aber spricht er das ernste
Wort aus: «Und weil die Menschen von innen in ihrem
Herzen nicht besser werden, wird es auch von aussen nicht
besser.»

Wie kann der Mensch jedoch «innen, in seinem
Herzen» besser werden? Heinrich Pestalozzi hat uns den
Weg dazu gezeigt.

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«Liebes Volk, ich will dir aufhelfen!» Ini engen, über-
sichtlichen Kreise der Familie müssen wir beginnen.

Ohne den Begriff «Genossenschaft» näher zu defi-
nieren oder gar das Wort «Konsumgenossenschaft» zu
kennen, ist Heinrich Pestalozzi in seiner sozialethischen
Erziehungslehre bis hart an die Grenzen der modernen
Genossenschaftsidee vorgedrungen. Auch ist sein direkter
und indirekter Einfluss auf namhafte moderne Genossen-
schaftspioniere (Dr. King, Robert Owen, V. A. Huber) un-
bestritten. Im Mittelpunkt der sozialen Erziehungslehre
Pestalozzis steht der Arme, vor allem das verwahrloste
Kind. Beiden will Pestalozzi aufhelfen durch sein Prinzip
der Erziehung zur Selbsthilfe. Der Plan Pestalozzis war,
die verwahrlosten Kinder in der Weise zu erziehen, dass
sie die Kosten der Erziehung selber tragen könnten, d. h.
durch eigenen Erwerb. (Idee der landwirtschaftlich-indu-
striell geführten Armenschulen.)

Im Selbsthilfeproblem Pestalozzis steckt der Grund-
gedanke der modernen Genossenschaft.7) Im Neuhof
sammelt er verwahrloste Kinder um sich, um ihnen einen
Vater, eine Mutter und eine Wohnstube neben der Schul-
und Arbeitsstube zu geben. «Ich habe ein zu grosses
Haus; sie haben keines; mir fehlen die Hände, die Felder
zu bestellen, und ihnen mangelt die Arbeit! Was gilt’s,

29

wenn wir Armen uns zusammentun (lies genossenschaft-
licher Zusammenschluss), sind wir reich! Sie sollen mir
spinnen für ihren Unterhalt, und ich will sie lehren.»

Die Armut zur Armut erziehen, das ist Pestalozzis
aufbauendes Ideal.

Was versteht er darunter? Will er den Armen stets
arm erhalten?

Keineswegs! Pestalozzi lehrt den Armen rechnen,
haushalten, einteilen und sich derart einschränken, dass er
mit Wenigstem auskommt, ohne in Schulden zu geraten;
nur auf diese Weise kann er langsam wirtschaftlich auf-
bauen, um zu bescheidenem Wohlstand zu kommen.

Pestalozzi verwirft das «Almosengeben», das entwür-
digt und den Menschen moralisch widerstandslos macht;
er will die Armenkinder durch organiserte Arbeit zur
Selbständigkeit erziehen (organisierte Hilfe zur Selbst-
hilfe). Pestalozzis Erziehungslehre zielt darauf hin, den
einzelnen Menschen, das Individuum, zu ertüchtigen, stark
zu machen, um sich im praktischen Leben selber helfen
zu können.

Er verbindet damit aber noch ein anderes Ziel; er will
den ausgeprägten, starken Einzelmenschen reif und tüchtig
machen für die Gemeinschaft.

Eine Gemeinschaft besteht aus Individuen; sind diese
Individuen keine ausgeprägten Persönlichkeiten, so wird
aus den verbundenen Individuen nie eine beseelte, leben-
dige Gemeinschaft erwachsen können.

Die Erziehung des einzelnen muss zur Gemeinschaft
tendieren, denn sie ist «der wahre Menschheitszustand».

In der Vereinzelung leben wir in Unbehilflichkeit.
«Diese führt unser Geschlecht zur Vereinigung seiner
Kräfte, und der erste Zweck dieser Vereinigung ist, die
Genüsse des Lebens, die unsere Natur fordert, uns leichter,
sicherer und befriedigender verschaffen zu können, als

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dies uns ohne Vereinigung unserer Kräfte mit andern mög-
lich wäre8).

Und weiter:

«Wahre Guttat ist dies, dem Menschen zu ermög-
lichen, fortan sich selbst zu helfen, selber das tägliche
Brot zu verdienen.»

Der modernen Genossenschaftsbewegung, erklärte
einmal Munding, liegen allgemeine genossenschaftliche
Ideen zugrunde, die sich bereits in der Kulturbewegung
des 18. Jahrhunderts neben den vorherrschenden indivi-
dualistischen Gedanken und Lebenstendenzen zu einer
sozialethisch orientierten genossenschaftlichen Welt-
anschauung verdichtet hatten. Sie wurzeln in dem positiv
schöpferischen Geist der Aufklärung, wie wir sie neben
anderen auch in Pestalozzis grossem Erziehungsroman
«Lienhard und Gertrud» in klassischer Prägung heraus-
gebildet finden. Diese Dichtung ist neben Goethes «Wil-
helm Meister» das Urbild jeder tieferen Gemeinschaft und
auch des Genossenschaftsideals.

Die Grundidee ist die der selbstverantwortlichen und
selbsttätigen sittlichen Persönlichkeit, die vom Bewusst-
sein der Würde reiner Menschlichkeit, von der Idee der
Humanität durchdrungen, durch Einordnung in ein gesell-
schaftliches Ganzes sich stärkt, erweitert und veredelt.
Individuum und Gemeinschaft erscheinen zwar scheinbar
in einen gewissen Spannungszustand zueinander gesetzt;
dennoch ist jeder einzelne als ein eigenartiges Individuum
von bestimmten Anlagen und Fähigkeiten gedacht, die so-
wohl in seinem eigenen Interesse wie zu dem Wohle des
Ganzen, d. h. der Gemeinschaft, der er angehört, erkannt,
entwickelt und zum grösstmöglichen Grad von Vervoll-

31

kommnung gebracht werden müssen. Es wurde allgemein
angenommen, dass wohlverstandenes Selbstinteresse und
Gemeinschaftsinteresse sich decken und alles, was für
den sittlich recht gerichteten einzelnen gut und vorteilhaft
ist, es auch für das Ganze sei. Die Gemeinschaftskreise,
die man ins Auge fasste, waren zunächst die Familie, dann
die Gemeinde und schliesslich der Staat als Volksgenos-
senschaft. Es kommt nun bei Pestalozzi weiter zur Auf-
stellung eines Erziehungs- und Bildungsideals, welches
wiederum sowohl das Individuum wie die Gemeinschaft
umspannt, Objekt und Raum aber alsbald in engeren
Kreisen zu erfassen und so eine gewisse Isolation zu er-
reichen sucht, um die aufbauende Erziehungsarbeit von
den störenden Einflüssen der weiten, in sich unruhigen
und unharmonischen Welt gewissermassen abzuschnüren,
sozusagen eine eigene kleine Welt zu gestalten, ohne aber
den Kontakt mit der Aussenwelt zu verlieren (nahe Be-
ziehung und kleiner Kreis). Dies ist der Ursprung des
konstruktiven Gemeinschaftsideals, in das das Ideal der
Vollgenossenschaft eingebettet ist. Die Erziehungsidee
vermählt sich mit der konstruktiven gesellschaftlichen
Organisationsidee und beide suchen alle Lebensgebiete
und damit den ganzen Menschen im geschlossenen und
engen Raum zu umfassen und methodisch für die Gesell-
schaftszwecke zu bilden.9)) Harmonische Bildung des ein-
zelnen und des Ganzen ist das Ziel, das seinerseits wie-
derum Entwicklung grösstmöglicher Arbeitsproduktivität

32

behufs Steigerung des Wohlstandes in der Einzelwirtschaft
wie in der Gesamtheit zur Voraussetzung hat.

Die Grundtendenz der wirtschaftspolitischen Ziele
Pestalozzis zielt auf die Vermählung von Stadt und Land,
von industrieller und landwirtschaftlicher Kultur ab. Zwar
unklar, aber mit instinktiver Energie tendierten Pestalozzis
Bestrebungen nach der Idee der Siedelungsgenossenschaft.

Unter dem Druck der furchtbarsten leiblichen und
geistigen Leiden, bei Wasser und Brot, im alltäglichen
Hungerzustand nach dem Zusammenbruch des Neuhof-
experimentes vollzog sich in Pestalozzi die grosse Wand-
lung: der Menschheit muss die erlösende Idee der Selbsthilfe
und der Selbstsorge durch die Gemeinschaft gepredigt wer-
den. So wurde Pestalozzi zum erzieherischen Volksschrift-
steller. 1781 erscheint sein Buch: Lienhard und Gertrud.

Wir finden darin den Schlüssel zu dem Problem, wie
das darbende Volk aus seiner physischen, sozialen und sitt-
lichen Knechtschaft sich loslösen könnte, durch Erziehung
und Sparsamkeit, durch zweckmässige Organisation von
Arbeit und Verbrauch, Produktion und Konsumation. Wir
entdecken eine in die Details gehende Wirtschaftslehre,
die ihre Wurzel in der Haus- und Hofwirtschaft hat und
von hier aus allgemeinere Kreise zieht.

Von Pestalozzi stark beeinflusst, verfocht V. A. Huber,
der tiefgründige deutsche Genossenschaftstheoretiker, den
genossenschaftlichen Siedelungsgedanken schon seit den
40er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Wort und Schrift
und praktischem Versuch.

Hubers Gedankengang ist kurz folgender: «So wie das
geistige und sittliche Leben des Menschen jeden Augen-
blick in unendlich mannigfaltiger Weise durch sein leib-
liches Befinden wesentlich bedingt wird, so wird beides,
Leib und Seele, durch die Wohnung bedingt, in der und
unter deren Einflüssen die meisten Menschen in unserem

33

Klima den grössten und entscheidendsten Teil, die wich-
tigsten Momente der Lebenszeit verbringen. Namentlich
gilt dies von der Familie, und gewiss ist es nicht zu viel,
wenn wir die Wohnung den gemeinsamen Leib des
Familienlebens nennen. So ist denn die Beschaffenheit der
Wohnung fast ebenso wichtig für die Familie, als die Be-
schaffenheit des Leibes für den einzelnen Menschen —
und zwar ob er kränklich oder gesund, verkrüppelt oder
wohlgestaltet sei. Eine gute oder eine schlechte Wohnung
ist eine Lebensfrage. Nun gibt es allerdings Fälle, wo die
geistigen und sittlichen Kräfte des Menschen die Ge-
brechen des Leibes mehr oder weniger zur Erreichung
irgendeines würdigen Ziels zu überwinden vermögen, aber
mit welchem Aufwand von Kräften! Ebenso gibt es ohne
Zweifel Fälle, wo das Familienleben im ganzen und in den
einzelnen Mitgliedern trotz der Einflüsse einer schlechten
Wohnung mehr oder weniger gedeiht. Wiederum jedoch
mit welchem Aufwand von Kräften aller Art, auch wirt-
schaftlichen und finanziellen! Und wieviel weiter würde
eine solche Familie ihr Gedeihen bringen, wenn nicht die
schlechte Wohnung so viele Kräfte gleichsam absorbierte?»

Die Lösung der Wohnungsfrage in grossem Stil fand
Huber einzig in der Schaffung von genossenschaftlichen
Ansiedelungen auf dem Lande, vor allem für das indu-
strielle Arbeiterproletariat.

Er entwarf einen Siedelungsplan bis in alle Einzel-
heiten; nur ein Punkt, die Beschaffung der grossen Geld-
mittel, war die Klippe, an der er zu scheitern drohte.

Eine Reise nach England brachte die Klärung. In
Rochdale lernte Huber die Pioniere von Rochdale und
ihren im Jahre 1844 gegründeten Konsumverein kennen,
die mit Hilfe ihres Konsumvereins Land erwerben und
Siedelungen errichten wollten. Von diesem Augenblick an,
als Huber die Leute an ihrer Arbeit sah, erkannte er sofort

34

die ungeheuren Möglichkeiten der sozialen Kapitalbildung
(kapitalisierte Rückvergütung) dieses kooperativen We-
sens und so vermählte er seine Siedelungsidee mit der Idee
der Konsumgenossenschaftsbewegung.

*

Welche Bewandtnis hatte es mit den Rochdale-Pio-
nieren? Darüber berichten uns die Genossenschaftshisto-
riker kurz folgendes. Im Jahre 1844, als die Not der
englischen Weber aufs höchste stieg, als die Konkurrenz
der Maschine, sowie die der Frauen- und Kinderarbeit
die Männer massenhaft arbeitslos machte, als die Löhne
der Beschäftigten auf ein langsames Verhungern herab-
gedrückt waren, und der «Wolf», wie sie den Hunger
nannten, sie peinigte, in dieser tiefsten Notlage war es,
dass ein paar solche arme Weber ohne alle Mittel, nur
ausgerüstet mit dem Glauben an die Kraft der genossen-
schaftlichen Selbsthilfe, von der ihnen Robert Owen und
Dr. King erzählt hatten, ans Werk gegangen sind. In der
äussersten Not, der sie als Produzenten in der Erwerbs-
wirtschaft verfallen waren, taten sie sich als Konsumenten
zusammen, um eine neue Wirtschaft, eine Gemeinwirt-
schaft, zu begründen; oder — wie sie selber kühn er-
klärten — um ihre eigenen Händler, ihre eigenen Fabri-
kanten, ihre eigenen Kapitalisten zu werden. Was sie ihrem
Elend dafür abdarben konnten, das war ein wöchent-
licher Beitrag von 2 Batzen; so kam im Laufe des ersten
Jahres kaum so viel zusammen, um einen ersten Sack
Hafermehl kaufen zu können. In einem winzigen Laden
in der Krötengasse in Rochdale verkauften sie ihren Mit-
gliedern dann Lebensmittel, die sie nur in diesen kleinsten
Mengen einzukaufen vermochten. Es gab ein Hallo, als
diese «verrückten armen Weber», wie man sie nannte,
den Laden eröffneten; aber die verrückten armen Weber

35

behielten recht. Sie gewannen zahlreiche Mitglieder, ihr
Umsatz wuchs; er verbilligte sich, je mehr im grossen
gekauft werden konnte; jede erzielte Verbilligung floss als
Rückvergütung, da sie zu Marktpreisen verkauften, am
Jahresschluss an die Käufer, soweit die Erübrigung nicht
erweitertem Ankauf und eigenen Produktionsanlagen zu-
floss. Nach 20 Jahren diente die Genossenschaft schon
als glänzendes Vorbild: Mühle, Bäckerei, Schlächterei,
Fabriken, Bau eigener Wohnungen waren bereits im Gange.

So war am 21. Dezember 1844 durch diese Genossen-
schaft, der Pioniere von Rochdale, die grosse Bewegung
aus kleinsten Anfängen entstanden. «Auch hier kam in
ärmlicher Gestalt um die Weihnachtszeit die grosse Ver-
heissung vom Frieden auf Erden.» Die ärmlichste Lage ist
hier so wenig wie beim Christentum ein Hindernis gewesen,
den grössten Reichtumsbringer der Welt zu schenken10) 11).

Das Programm, das die »Redlichen Pioniere» sich
gaben, ist für den Siedelungsgedanken so wichtig, dass
wir es hier im Wortlaut einschalten müssen:

36

«Ziel und Aufgabe dieser Genossenschaft ist, für den materiellen
Nutzen und die Verbesserung der sozialen und häuslichen Lage der
Mitglieder Vorkehrungen zu treffen.

1. Das soll geschehen durch die Aufbringung eines genügenden
Kapitalbetrages in l-£-Anteilen (Fr. 25.—), um folgendes auszu-
führen:

Errichtung eines Ladens zum Verkauf von Lebensmitteln,
Kleidung usw.

2. Bauen, Kaufen oder Errichten einer Anzahl von Häusern, in
denen diejenigen Mitglieder, die einander bei Besserung ihrer
häuslichen und sozialen Verhältnisse zu helfen wünschen,
wohnen könen.

3. Die Fabrikation solcher Artikel zu beginnen, die die Genossen-
schaft bestimmen wird, um Mitglieder, die ausser Arbeit sind
oder deren Löhne wiederholt herabgesetzt sind, zu beschäftigen.

4. Zum weiteren Nutzen und zur Sicherung der Mitglieder dieser
Genossenschaft soll die Genossenschaft ein Gut oder Güter
kaufen oder pachten, die durch arbeitslose oder schlecht bezahlte
Mitglieder bewirtschaftet werden sollen.

5. Sobald als durchführbar, soll diese Genossenschaft dazu über-
gehen, Produktion, Verteilung, Erziehung und Regierung zu
regeln oder in anderen Worten eine sich selbst genügende
Kolonie errichten oder andere Genossenschaften bei der Er-
richtung solcher Kolonien unterstützen.

37

Weiter wurde festgelegt: Reinheit der Ware, volles
Gewicht, Verkauf zu Marktpreisen, Barzahlung, politische
und konfessionelle Neutralität, gleiches Stimmrecht, und
zwar für Männer und Frauen.

Das Wesentliche in dem Programm der Rochdaler
Pioniere ist die Rückvergütung nach dem Warenbezüge
an Stelle des kapitalistischen Systems der Dividende nach
dem Verhältnis der Kapitalbeteiligung.

*

V. A. Huber erkannte in der Rückvergütung den unge-
heuer wichtigen Hebel der sozialen Kapitalbildung durch
die Konsumgenossenschaft für den Siedelungsgedanken.
Es gilt, die Rückvergütung, den Reinertrag der Konsum-
genossenschaften aufzufangen, und zwar nicht nur in einer
einzigen Konsumgenossenschaft, sondern föderativ durch
Hunderte oder Tausende von Konsumgenossenschaften.

Die produzierende Konsumgenossenschaft ist das
Mittel zur Schaffung der Vollgenossenschaft, die wir in

38

der sich selbsterhaltenden Siedelungsgenossenschaft er-
blicken müssen.

Professor Dr. J. Fr. Schär, der hochverdiente Pionier un-
serer schweizerischen Konsumgenossenschaften, bewegte
sich in ähnlichen Gedankenkreisen. Auch für ihn bildet die
Konsumgenossenschaft bloss die Vorstufe zur organischen
Entwicklung einer genossenschaftlichen Lebensgemein-
schaft, die ihre äussere Form in Siedelungen erhalten soll.

In einer seiner zahlreichen, ideentiefen Präsidialreden
an den Tagungen des Verbandes Schweiz. Konsumvereine
führte er darüber u. a. folgendes aus:

«Ich sehe die Zeit kommen, wo die bäuerliche Ge-
nossenschaft für die städtische, die städtische Genossen-
schaft für die ländliche Bevölkerung arbeitet und beide
direkt ihre Produkte austauschen; es wird auch eine Zeit
kommen, wo die Summe der Ersparnisse auf dem Wege
eines vorher organisierten Kredites der Gesamtheit der
Genossenschaften zugute kommt und diese in den Stand
setzt, nicht nur die vom Fortschritt der Technik verlangten

39

Produktionsmittel zu beschaffen, sondern auch die ein-
zelnen Glieder aus der Abhängigkeit vom Grosskapital zu
befreien.

Und in noch weiterer Entwicklung wird das Ideal von
Frei-Land verwirklicht werden können, wo die letzte Stütze
der ökonomischen Knechtschaft, der Abfluss der Grund-
rente an Bank und Hypothek, fällt und Grund und Boden
aus dem Privatbesitz zurückerworben sind von den
städtischen und ländlichen Genossenschaften. So kehren
wir, allerdings auf einer höheren Kulturstufe, wieder zu
jenen Zeiten der alten Markgenossenschaften zurück, wo
es keine Heimatlosen und Enterbten, aber auch keine aus
dem Schweisse des Volkes lebenden Millionäre gab.»

Jede Genossenschaftswirtschaft baut sich auf aus den
zwei Grundkräften Individualkraft und Kooperativkraft.

Die Individualkraft ist die Kraft der einzelnen Men-
schen, und zwar sowohl ihre Arbeitskraft, als auch ihre
Verbrauchskraft.

Die Kooperativkraft ist die Vereinigung dieser indivi-
duellen Kräfte in gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen,
die an sich durchaus nicht gemeinwirtschaftlich sind, son-
dern nur zur Gemeinwirtschaft hintendieren.

Diese beiden Kräfte wirken nun zusammen; in ihnen
drückt sich der Gedanke aus, dass Selbstinteresse und
Genossenschaftsinteresse im Grund nach einer Einheit
streben; durch das Zusammenspielen dieser Kräfte ent-
steht die Mittelkraft, eine Kraft, welche wir die Gemein-
kraft bezeichnen12)

40

Um zur Vollgenossenschaft zu gelangen, müssen wir
die Individualkräfte sammeln, die in jeder einzelnen
Familie wirken und u. a. in ihrem Verbrauch sich aus-
wirken, und wir müssen durch ihren Verbrauch und ihre
Sparsamkeit die kooperativen Kräfte in den verschiedenen
kooperativen Gestaltungen weiter entwickeln und Gemein-
kräfte erzeugen.

*

Die Ansammlung der Rückvergütung, die Sparkraft,
sollte die Basis für die finanzielle Kraft der zu gründenden
Siedelungen bilden.

Die Entwicklung nahm eine andere Richtung. Die
Rückvergütungssummen wurden zumeist verzettelt, und
die Siedelungspläne der Rochdale-Pioniere und von V. A.
Huber nicht realisiert. Die Tiefen des Genossenschafts-
gedankens gingen im Laufe der Jahrzehnte bei der Masse
verloren und damit Milliardenwerte an Gemeinkraft.

Das Wort Hubers, dass die Masse, das Proletariat, in
sich unermessliche Reichtümer trage, wurde nicht ver-
standen; die Opferwilligkeit und Selbstverleugnung nach
dieser Richtung versagte. Vielleicht, dass auch die Er-
ziehungsmethode der Führer, die mehr und mehr zur
Massenerziehung wurde und den einzelnen nicht mehr zu
erfassen vermochte, mit Schuld trägt an dieser Ent-
wicklung.

Um was für Summen es sich bei der systematischen
Ansammlung der proletarischen Sparatome handelt, mag
das folgende kleine Zahlenbeispiel dartun:

In der Schweiz zählen wir (1942) zirka 420,000 Fabrik-
arbeiter. Nehmen wir an, davon seien 300,000 genossen-
schaftlichorganisiert. Alle beziehen pro Jahr für Fr. 550.—

41

Bedarfsgüter aus der Konsumgenossenschaft. Die 300,000
Arbeiter erzielen somit jährlich gemeinsam einen Güter-
umsatz von Fr. 165,000,000.—13), auf welchem am Jahres-
ende stets eine Rückvergütung von 6 °/o gewährt werden
kann, das macht pro Arbeiter und pro Jahr Fr. 33.—, für
alle zusammen die Summe von Fr. 9,900,000.— aus.
Würde dieses Kapital nun nicht mehr verteilt, sondern
jährlich gemeinsam für jeden einzelnen an Zins und Zinses-
zins gelegt, so könnten nach zehn Jahren unsere genossen-
schaftlich organisierten Arbeiter bereits über ein Spar-
kapital von 104 Millionen Franken allein aus den kleinen
Rückvergütungssummen verfügen; nach 20 Jahren wären
es 295 Millionen Franken, nach 30 Jahren 555 Millionen,
nach 40 Jahren 940 und nach 50 Jahren 1510 Millionen
Franken. Eine richtige Gemeinkraftersparnis ohne jede
persönliche Sonderanstrengung. Es braucht allerdings:
Sparsinn, Willen und Energie zum Durchhalten. Mit
diesem Gemeinschaftskapital könnte in grosszügigster
Weise Siedelungspolitik getrieben werden.

Demnach ist der Vorwurf, die Rückvergütung sei ein
Krebsübel der Konsumgenossenschaftsbewegung, und es
hätte nur soziales Kapital angesammelt werden sollen, nicht
stichhaltig. Gerade die Rückvergütung ist ein eminent wich-
tiges genossenschaftlich-familienwirtschaftliches Erzie-
hungsmittel, nur muss es ausgebaut und seinen ursprüng-
lichen Zwecken wieder zugeführt werden. Es ist keine
leichte Sache, Menschen, die von Haus aus egoistisch
veranlagt sind und deren Kräfte heute noch zum grossen
Teil in egoistischer Richtung spielen, zunächst auch nur

42

zum kooperativen Zusammenschluss zu bringen. Es ist
psychologisch wichtig, dass man zugleich die beiden
Kräfte, die Individualkraft, den Egoismus mit Hilfe der
Rückvergütung, die Kooperativkraft, diese andere wir-
kende Kraft und schliesslich die Gemeinkraft in Wir-
kung setzt.

Es bedarf also nicht — so meint Prof. Wilbrandt mit
vollem Recht — wie man immer meint, erst der Erringung
politischer Macht, um die Besitzlosen aus ihrer sozialen
Abhängigkeit zu befreien. An den Mitteln zur wirtschaft-
lichen Selbsthilfe durch Organisation als Konsumenten
fehlt es auch dem Ärmsten tatsächlich nicht. Nur die Er-
kenntnis der vorhandenen Möglichkeit, die energische Tat
des genossenschaftlichen Zusammenwirkens und treue Hin-
gabe für die gemeinsame Sache, kurz Seelisches, ist von-
nöten. Nicht der Umfang der äusseren Mittel, sondern
ihre richtige Verwertung, das ist, was entscheidet.

3. Die Siedelungsgenossenschaft Freidorf

Die bitteren Nöte der Weltkriegskatastrophe (1914—18)
haben uns vieles gelehrt; ihr haben wir auch die erste
schweizerische Siedelung auf genossenschaftlicher Grund-
lage, die im Sinn und Geiste eines Pestalozzi und V. A. Hu-
bers und nach dem Grundgedanken von Freiland errichtet
worden ist, zu verdanken — die «Siedelungsgenossenschaft
Freidorf».

Sie wurde nicht errichtet aus dem Sparkapital der in
ihr organisierten Konsumenten; dennoch sind es Summen
der durch den genossenschaftlichen Zusammenschluss er-
zeugten Gemeinkraft.

43

Der geistige Urheber dieses modernen Siedelungs-
gedankens, Altnationalrat Dr. h. c. B. Jaeggi, Delegierter
des Verwaltungsrates des V. S. K., den wir im wahren
Sinne des Wortes als Vater unserer Siedelung ansprechen
dürfen, führte über die Finanzierung, Zweck und Ziele der
Genossenschaft u. a. folgendes aus:

«Die Gelder rühren her aus ausländischen Warentrans-
aktionen zur Versorgung des Landes mit Gütern während
des Krieges, die grösstenteils glücklich abgelaufen sind.
Die Rückstellungen im Betrage von mehreren Millionen
Franken hätten in weitem Masse in die Kriegsgewinn-
steuerkasse der Eidgenossenschaft abgeliefert werden
sollen. Die Eidgenossenschaft gab diese Summe frei unter
der Bedingung, dass die Freidorfstiftung errichtet und ein
Dorf gebaut werde. Deshalb wurde weder der schwei-
zerische Konsument, noch wurden die Verbandskonsum-
vereine irgendwie geschmälert, denn die betreffenden
Kapitalien konnten nur für das Siedelungswerk freigemacht
werden. Mit der Schaffung des Freidorfes sollen eine
Anzahl Probleme zur Lösung gebracht werden:

1. Nach unserer Auffassung hat der Arbeitgeber ge-
wissermassen die Verpflichtung, für Wohnungen zu sorgen,
namentlich dann, wenn er gezwungen war, wie das beim
V. S. K. zutrifft, Wohnungen zu Bureauzwecken umzu-
wandeln;

2. soll in der gegenwärtigen Zeit jeder, der es kann,
an der Lösung der Wohnungsfrage mitarbeiten;

3. ist es eine wichtige Erkenntnis, dass die wahre Er-
ziehungsarbeit der Menschen nur in kleinen übersichtlichen
Gruppen erfolgen kann, und vor allem Erfolg verspricht,
wenn gleichzeitig jede Familie über ein Heim verfügt. Wer
mit der Natur in engster Beziehung steht und lebt, dessen

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Denkart wird günstig beeinflusst. Die Siedelung soll zu
einer Art Vollgenossenschaft werden; die Siedler sollen
die Möglichkeit erhalten, ihren ganzen Bedarf in der Ge-
nossenschaft zu decken. Das Prinzip der Selbstverwal-
tung wird darin in weitem Maße zur Anwendung gelangen
und der einzelne soll einen Teil seiner freien Zeit frei-
willig und unentgeltlich in den Dienst der Genossenschaft
stellen. Mit diesen Grundsätzen kehren wir zurück zur
alten schweizerischen Einfachheit. Wir wollen vorbildlich
wirken, nicht nur für unser Land, sondern auch für das
Ausland, das unserem Werke heute schon grosses Inter-
esse entgegenbringt.»

Nach diesem zusammenfassenden Überblick der Ziele
Freidorfs dokumentierte Jaeggi, dass die «Freidorf-Stif-
tung» den Siedlern die hohe Pflicht auferlegt, echt genos-
senschaftlichen Ideen praktisch nachzuleben. Das verlangt
intensivste Erziehungsarbeit am einzelnen für die Gesamt-
heit; Freidorf — eine kleine Welt!

Die notwendige Erziehungsarbeit hat eingesetzt, längst
bevor die 150 Häuser standen und die Siedler einer nach
dem andern ihre Heimstätten bezogen.

Zwei Hauptbedingungen zum Gelingen des Werkes
sind gegeben: einmal die notwendige überragende Führer-
gestalt, die nicht allein ziel- und zweckbewusst handelt,
sondern auch selbstlos, alles mit grosser Liebe erfüllt:
Jaeggi; sodann die Siedler selbst, die ihrem väterlichen
Freund vertrauen und zumeist mit Hingebung und Freude
sich in ihre Siedleraufgabe einleben.

Wie fassen wir unser Gemeinschaftsleben auf?

Das ganze Dorf ist gemeinsames Gut. Jeder Siedler
hat mindestens einen zinslosen Anteilschein ä Fr. 100.— zu

45

übernehmen und einzuzahlen. Dem Mieter kann nicht ge-
kündigt werden, sofern er sich den bindenden Anord-
nungen der Allgemeinheit fügt. Das Wohnhaus ist nicht
sein Besitz, und alles, was er nach eigenem Wunsch und
auf seine Kosten im Hause verbessert, muss er ohne Ent-
schädigung zurücklassen, wenn er die Siedelung verlässt;
dadurch werden die Häuser vor jeder Spekulation ge-
schützt und der Siedler übt sich in der Tugend der Selbst-
losigkeit und Opferwilligkeit. Die christliche Grundidee
der Nächstenliebe wird dadurch in die Tat umgesetzt,
dass jedes Mitglied sich in den Dienst der Allgemeinheit
stellen muss, und zwar unentgeltlich nach Kraft und
Eignung.

Zu diesem Zweck ist die Verwaltungsorganisation
Freidorf nach dem Muster der Konsumgenossenschaften
möglichst demokratisch aufgebaut.

Das oberste Organ tritt uns in der Generalversamm-
lung entgegen. Die verantwortliche Behörde ist die neun-
köpfige Verwaltung; als Präsident dieser Behörde wirkt
seit der Gründung der Genossenschaft Johann Frei14), der
mit grosser Hingebung sich den mannigfaltigen Orga-
nisationsaufgaben widmet, die eine derartige Neuschöp-
fung stellt, und die viel Geduld, Verständnis und Arbeit
erfordert. Neben der Verwaltung wurden sieben Kommis-
sionen geschaffen, welchen die Mehrzahl der männlichen
und weiblichen Siedler zugeteilt sind, die in kleinen Grup-
pen arbeiten, doch in engem Kontakt mit der Verwaltung
stehen und mit ihr eine Art Arbeitsgemeinschaft bilden.
Dadurch wird der Apparat durchaus nicht bureaukratisch.

46

aber ein grösserer Kreis Siedler und Siedlerinnen werden
nach und nach in alle Verwaltungsarbeiten praktisch ein-
geführt. Die sieben Kommissionen sind: Erziehungs-, Ge-
sundheits-, Betriebs-, Finanz-, Sicherheits-, Bau- und Unter-
haltungskommission.

Für die Schaffung dieser Instanzen war in erster Linie
die Auffassung massgebend, dass möglichst jedes Mitglied
an irgendeiner Stelle an den allgemeinen Aufgaben und
Angelegenheiten mitarbeiten solle. Deshalb war vorge-
sehen, die Mitglieder jeder Kommission so zu erhöhen,
dass die genannte Absicht erreicht werden konnte. Auf
diese Weise wurde es möglich, etwa 165 Siedler und Siedle-
rinnen in den Gemeinschaftsdienst zu ziehen. Mit den
Mitgliedern der eigentlichen Genossenschaftsbehörde, der
Verwaltung und der Kontrollstelle betrug die Gesamtzahl
der Mitwirkenden über 180, so dass auf jedes Haus min-
destens eine tätige Person für die Genossenschaftssache
kam. So ist es die Jahre hindurch geblieben, und zum
grossen Teil gehören den Kommissionen — sie werden
alljährlich von der Verwaltung neu bestellt und, wo es er-
forderlich wird, ergänzt — noch die ursprünglich er-
nannten Mitglieder an.

Es darf heute, nach beinahe 25 Jahren der prak-
tischen Erfahrung, konstatiert werden, dass die Bean-
spruchung so vieler Kräfte eine gute erzieherische Wir-
kung erzielte. Mitarbeiten heisst Einblick in das Genos-
senschaftswerk gewinnen, und wo der einzelne eigene
Arbeit leistete, wusste er diejenige anderer besser zu wür-
digen. Die Sucht zum Nörgeln und Bessermachen konnte
nicht überhand nehmen, was dem Gelingen der Arbeiten
durchaus förderlich war.

Der Aussenstehende hat dem Kommissionswesen im
Freidorf vielleicht grosse Zweifel entgegengebracht und

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dafür gehalten, dass so viele Köche unfehlbar den Brei
verderben müssen. Die Eigenart unserer Siedelung hat
aber bestätigt, dass es keine Regel ohne Ausnahme gibt.
Zudem sind die Intentionen, die beim Entstehen des Frei-
dorfes massgebend waren, hochgehalten worden. Das
Hauptverdienst an dieser wichtigen, vielleicht ausschlag-
gebenden Tatsache fällt Dr. B. Jaeggi zu, der in allen
Sitzungen sowohl der Verwaltung als auch der Kommis-
sionen ebenso williger als erfahrener Mitberater ist. Es ist
ganz selten vorgekommen, dass die rechtlich verantwort-
liche Genossenschaftsinstanz, die Verwaltung, den aus
den Beratungen der Kommissionen hervorgegangenen
Vorschlägen und Anträgen nicht entsprechen konnte.

Der Aufgabenkreis der einzelnen Kommissionen
wurde in Programmen niedergelegt, aus welchen wir an-
hand ihrer seitherigen Tätigkeit das Wichtigste hervor-
heben wollen.

a) Für die Erziehungskommission stellte vor allem
die Freidorfschule ihre Anforderungen. Sie konnte am
22. November 1920 eröffnet werden und musste sich bis
zur Fertigstellung (1924) des geplanten Genossenschafts-
hauses mit dem ihr zugewiesenen Raum im Kantinen-
gebäude ausserhalb der eigentlichen Siedelung begnügen.
Für die Schulführung waren im allgemeinen die gesetz-
lichen Bestimmungen massgebend; immerhin blieben noch
Möglichkeiten, unsere erzieherischen und genossenschaft-
lichen Auffassungen, die sich aus den Lehren und Grund-
sätzen Pestalozzis bilden, in unsere Schule zu tragen.
Erziehungsschule und Arbeitsschule miteinander verbinden,
das war hier Schulprogramm. Lehrer und Erziehungs-
kommission waren stets bemüht, dasselbe soweit als mög-
lich zur Durchführung zu bringen. Um den Kindern auch

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Einblick ins werktätige Leben zu verschaffen, wurde ihnen
zeitweilig Gelegenheit gegeben, einen Genossenschafts-
betrieb erklären zu lassen.

Im Jahre 1924 konnte die Schule in die schönen
Räume, die ihr im Genossenschaftshause bereitet wurden,
verlegt werden. Durch die Anstellung einer zweiten Lehr-
kraft konnte die Schülerschar in zwei Stufen, 1.—3. und

4.—8. Klasse, geteilt werden.

Zur geistigen Anregung wurde eine Bibliothek er-
richtet und fortgesetzt erweitert. Man darf sagen, dass
diese Einrichtung einem grossen Bedürfnis entgegenkam,
denn Jahr um Jahr werden über 1500 Bücher bezogen, so
dass auf jedes Haus etwa 10 Bände kommen. Der Bücher-
bestand ist von 500 Bänden im Jahre 1921 auf über 3000
im Jahre 1942 gestiegen.

Durch die Durchführung von regelmässigen Winter-
programmen mit Vorträgen, Vorlesungen und musika-
lischen Veranstaltungen wird denjenigen, die solche Ver-
anstaltungen lieben, ein grosser Dienst erwiesen. Viel Be-
lehrendes und Unterhaltendes wird den Besuchern dieser
Abende, die in der Regel von Oktober bis März je einmal
im Monat abgehalten werden, geböten, und zwar aus der
Genossenschaftsbewegung, aus den Gebieten der Gesund-
heitspflege und der Literatur (hier übten besonders die
von volkstümlichen Dichtern gegebenen Vorlesungen —
öfters werden sie durch gesangliche Interpretationen ge-
würzt — eine starke Anziehungskraft aus), der Wirtschaft,
dann Reiseschilderungen, ergänzt durch Lichtbilder oder
Filme usw.

Mit grosser Liebe hat die Erziehungskommission
unter Mitwirkung von Mitgliedern der Gertrudgruppe die
Kinderanlässe gepflegt. Sonntagsschule und Mittwoch-
schule boten wöchentlich Gelegenheit zum Beisammen-
sein der kleineren und grösseren Kinder. Dabei wurde

49


neben Spiel und Beschäftigung auch auf genossenschaft-
liche Belehrung Bedacht genommen. Schliesslich ist es im
Jahre 1929 auch zur Errichtung einer Kleinkinderschule
gekommen. Die Kosten wurden, bis zur Übernahme durch
die Gemeinde Muttenz, durch das Schulgeld der Eltern so-
wie durch Beiträge des Freidorfes und der Gemeinde
Muttenz bestritten.

Um den im Kindergarten waltenden Geist zu schil-
dern, fügen wir einige Ausschnitte aus dem ersten Jahres-
bericht der Gärtnerin an:

«Wenn ich zurückblicke auf das ¾ ährige Bestehen des Kinder-
gartens, so muss ich erkennen, dass die relativ kurze Zeit für die
Kinder und die Lehrerin recht segensreich war. Oft auf meinem
Heimweg, wenn ich sämtliche Erlebnisse des Kindergartens nochmals
in mir erstehen liess, war ich der festen Überzeugung, selber die
Meistbeschenkte, Bereicherte gewesen zu sein. Es ist unbedingt
Wahrheit, dass die Kinder Paradiesluft um sich haben, auch wenn sie
noch so «täubele» oder aufgebrachte «Zorngüggeli» sind: denn sie
sind bewundernswert und grundehrlich beim Auf und Ab ihres Ge-
fühlsbarometers; da gibt es noch keine Verstellung. Aber am meisten
lernt man an ihrem grenzenlosen Vertrauen, das sie gegen uns Er-
wachsene haben, hierin sind sie geradezu Lehrmeister. Denn dies Ver-
trauen weckt ständig unser Verantwortungsgefühl, lässt es nie ein-
schlafen. Wir fühlen so bis in unsere hintersten Gedanken hinein,
dass wir es diesem kindlichen Vertrauen schuldig sind, fortwährend
an uns selber zu arbeiten, alle guten Kräfte täglich in uns von neuem
wachzurufen, weder seelisch noch geistig einzurosten. Dies unsicht-
bare Arbeiten von seiten des Erziehers ist der sicherere, zuverlässi-
gere Bildner am Kinde als alle Moralsätze: «das darfst du nicht, jenes
musst du lassen.»

So begegnen sich kindliches Vertrauen und Verantwortung des
Erwachsenen und bauen Brücken der Liebe, die nicht so leicht einzu-
reissen sind. So wurde unser Kindergarten eine erweiterte Familien-
stube, wo gemeinsam geschafft, gemalt, gebaut, genäht, geflochten
usw. wird, manchmal im grössten Frieden, aber auch wieder unter-
brochen von kleinen Kriegen, wo man schnell des andern Fehler
wegpuffen oder -kratzen will. Da genügt oft ein Blick, um ein Gleich-
gewicht wieder herzustellen, aber auch oft muss ein energisches Da-
zwischenwettern helfen.

Ein halbes Jahr schafften und spielten wir in der hellen, ge-
räumigen Turnhalle. Doch im Herbst erforderte die sich ankündende
Kälte, dass wir Umschau nach einer wärmeren Zone hielten. Es gab

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dann eine provisorische Lösung, indem wir in eine gut heizbare
Mansarde einziehen konnten. Doch ist der Raum empfindlich klein,
und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der Osterhas oder das
Christkindl! oder sonst so jemand uns einmal mit einem grösseren,
wirklich eigenen Raum überrascht, der allen hygienischen und ästhe-
tischen Anforderungen entspricht.»

Dieser Wunsch ging dann bald in Erfüllung, denn die
weiterbestehende Baubaracke, ein idealer und gut heiz-
barer Holzbau, wurde für Jahre das «Kinderparadies».

b) Für das Gesundheitswesen, das auch in einem
kleinen Dorfe wichtig ist, war die Gesundheitskommission
in der Weise tätig, dass sie ein Krankenmobilienmagazin
errichtete, bei Unfällen die erste Hilfe leistete und die
Verhütung und Beseitigung von sanitarischen Übelständen
anstrebte. Die in Krankheitsfällen benötigten Utensilien
wurden gegen ein kleines Entgelt abgegeben und die so
gewonnenen Mittel für weitere Anschaffungen benutzt.
Die Spar- und Hilfskasse leistete von Zeit zu Zeit zum
gleichen Zwecke Zuschüsse. Die Möglichkeit, die Uten-
silien an Ort und Stelle erhalten zu können, erspart den
Siedlern die umständliche, unbequeme und kostspielige Be-
schaffung von auswärts, so dass die Einrichtung wirklich
schätzenswerte Dienste leistet.

c) Die Aufgaben der Betriebskommission gehören zu
den wichtigsten der Siedelung. Abgesehen von der ihr zu-
kommenden Versorgung mit den Waren des täglichen Be-
darfs bildet sie für die ehrenamtliche Betätigung ein gutes
Wirkungsfeld. Die Betriebskommission verrichtet alle
Obliegenheiten, die nicht vom berufsmässig tätigen Per-
sonal (Magaziner und besoldete Verkäuferinnen) erfüllt
werden. Dadurch lassen sich einerseits die Betriebskosten
wesentlich tiefer halten und anderseits ergibt sich für die
Genossenschaft und für die Mitglieder ein grosser Nutzen.

Mit der Errichtung des «Genossenschaftlichen Se-
minars» im Freidorf (1923) wurde ihm auch eine Verkäu-

51

ferinnenschule angegliedert, deren Teilnehmerinnen z. T.
ihre praktische Ausbildung im Freidorfladen erhalten. Im
Jahre 1934 schloss die Seminarleitung mit der Siedelungs-
genossenschaft Freidorf einen Vertrag ab, wonach dem
Genossenschaftlichen Seminar der Verkaufsdienst im
Laden des Freidorfes übertragen wurde. Der Warenein-
kauf, die Bestimmung der Verkaufspreise und die Anstel-
lung und Besoldung des ständigen Verkaufspersonals
bleiben dagegen Angelegenheit der Siedelung.

Die volle Bedarfsdeckung ist im Freidorf möglich, in-
dem an Lebensmitteln sozusagen alles (also auch Fleisch
und Milch) im eigenen Laden bezogen werden kann.
Durch Markenverträge mit dem V. S. K. und dem A. C. V.
beider Basel wurde auch für die Lieferung von Schuh-,
Mercerie- und Manufakturwaren gesorgt. Soweit der
V.S.K. Eigenpackungen von Waren führt und Güter
selbst produziert, werden nur diese an die Siedler abge-
geben. Wenn naturgemäss die Verpflichtung für den mög-
lichst vollständigen Bezug alles Notwendigen bei der
eigenen Gütervermittlungsstelle bestehen muss (die Mit-
glieder der Siedelungsgenossenschaft Freidorf sind ja
zumeist Genossenschaftsangestellte und werden genossen-
schaftlich mit Wohnungen versorgt), so bringt es die Lage
ausserhalb der Stadt und der sich genossenschaftlich aus-
wirkende Vorteil niederer Betriebskosten mit sich, dass die
Benützung der eigenen Gütervermittlung als etwas Selbst-
verständliches gilt.

Die Jahresergebnisse waren demgemäss immer hoch,
und zwar sowohl hinsichtlich des Umsatzes als der Über-
schüsse. Seit der Ladeneröffnung gegen Ende 1920 haben
sich Resultate ergeben, die diejenigen anderer Konsum-
genossenschaften um ein Mehrfaches übertreffen. Bei
etwa 150 Bezügern im Freidorf, zu denen nach und nach
noch einige Dutzend Familien aus der Umgebung und

52

später die Seminarinsassen hinzukamen, erreichte der Um-
satz jährlich eine Summe, die die halbe Million überschritt.
Der Durchschnittsumsatz beträgt demnach mehr als
Fr. 3000.—, wobei beachtet werden muss, dass ein be-
trächtlicher Teil der Mitglieder — zwar ständig beschäf-
tigt — dem Arbeiterstande angehört. Die Überschüsse
brachten den Mitgliedern eine Ausgabenersparnis von mei-
stens acht oder neun Prozent, wobei noch recht ansehnliche
Rücklagen gemacht werden konnten. Ein Teil der Rück-
vergütung, so beschloss schon frühzeitig die General-
versammlung, soll für ein soziales Hilfswerk Verwendung
finden. Es wurde bei der Schweizer. Volksfürsorge, heute
Coop-Lebensversicherungsgenossenschaft, eine Kollektiv-
versicherung abgeschlossen (1920). Von der jeweiligen Rück-
vergütung wird 1% verwendet, wofür im Todesfall des Mit-
gliedes den Hinterbliebenen Fr. 500.— ausgerichtet wer-
den. Auf den gleichen Betrag hat der Versicherte längstens
nach 25 Jahren, oder, wenn er schon über 45 Jahre alt ist,
spätestens bei Erreichung des 70. Altersjahres Anspruch.
Im Jahre 1933 wurde von den Siedlern durch die Verwal-
tung eine zweite Kollektivversicherung abgeschlossen auf
der folgenden Grundlage:

  1. Die Errichtung erfolgt zu Lasten der Siedelungsgenossenschaft.
  2. Dieser Versicherung sollen teilhaftig werden die Mitglieder der
    Siedelungsgenossenschaft und die Mieter, sowie deren Ehe-
    gatten.
  3. Die Einlagen erfolgen im Verhältnis zum Warenbezug jedes
    Mitgliedes bzw. Mieters.

    Der versicherte Betrag wird bestimmt durch die Höhe der
    Einlage und das Alter des zu versichernden Mitgliedes bzw.
    Mieters.
  4. Jede folgende Einlage hat eine entsprechende Erhöhung des ver-
    sicherten Betrages zur Folge.

    Der Verwaltungsrat setzt alljährlich, gestützt auf das Be-
    triebsergebnis, die Höhe der Einlage fest.
  5. Der versicherte Betrag soll fällig werden beim Tode des Mit-
    gliedes oder des Mieters oder des andern Ehegatten der beiden,
    spätestens aber, wenn das Mitglied oder der Mieter das 70. Al-
    tersjahr erreicht.

53

Auf diese und ähnliche Weise suchen die Siedler durch
Gegenseitigkeitswerke den Gedanken der sozialen Hilfe zu
stärken und lebendig zu erhalten. Der Reservefonds er-
reichte im Jahre 1942 den Betrag von Fr. 174,500.—, so
dass der Anteil des einzelnen Mitgliedes am Genossen-
schaftsvermögen Fr. 1163.— ausmacht; was so gesammelt
wurde, bringt bereits spürbaren Nutzen, indem das jähr-
liche Zinserträgnis des unteilbaren Sozialkapitals etwa
Fr. 5500.— beträgt.

d) Die Baukommission. Das Bauwesen war im Frei-
dorf eine grosse Sache, bis die Wohnhäuser auf- und aus-
gebaut, die Kanalisierung, die Wasser- und Kraftzuleitung
durchgeführt, die Strassen, Wege und Plätze hergestellt
und schliesslich (1924) das Genossenschaftshaus seinen
Zwecken übergeben werden konnte. Wenn es während
der Durchführung dieser Bauaufgaben hauptsächlich auf
die gewonnenen Fachleute ankam, so erhielt die aus der
Siedlerschaft bestellte Baukommission doch öfters Ge-
legenheit zur Besprechung baulicher Fragen. Dadurch
Hessen sich einzelne Wünsche aus Siedlerkreisen berück-
sichtigen, aber auch irrige Auffassungen, die zu Unzufrie-
denheit führen konnten, aufklären. Besonders wertvoll
war, dass die Mitglieder der Baukommission die Möglich-
keit erhielten, die Bedeutung der baulichen Seite des Frei-
dorfes kennen zu lernen und damit Verständnis für die
Kommissionsaufgaben zu gewinnen. Die Aufsicht über
die Gebäude mit den Installationen, die Gartenanlagen,
Strassen und Plätze soll die gute Instandhaltung bewirken
und das Baugut vor vorzeitigem Zerfall bewahren. In den
Jahren 1924—1942 wurde für den Unterhalt der Liegen-
schaften sowie für Neubauten innerhalb des Siedelungs-
gebietes (Garagen, Feuerwehrmagazin und Kanalisations-
umbauten) eine Summe von Fr. 1,338,000.— verausgabt.
An diesem Betrag partizipierten Handwerker und Liefer-

54

firmen der Gemeinde Muttenz mit Fr. 733,000.—. Die
Wichtigkeit der Bauangelegenheiten hat auch Veranlas-
sung gegeben, den Vorsitzenden der Baukommission zu
allen Sitzungen der Verwaltung einzuladen.

e) Das Finanzwesen einer Genossenschaft erfordert
eine gewissenhafte und sparsame Verwaltung, weil die ge-
meinsamen Mittel hier nach Möglichkeit zusammengehalten
werden müssen. Eine «Melkkuh» zur Befriedigung aller
möglichen Wünsche darf die Genossenschaft niemals sein.
Die Einsetzung einer Finanzkommission erfolgte im Frei-
dorf zu dem Zwecke, in Geldausgaben aufs strengste
Mass zu halten. Als Aufgabe wurde ihr die Aufstellung
von Voranschlägen, die Begutachtung von Kreditbegehren
und insbesondere die Verwaltung der Spar- und Hilfs-
kasse, heute Wohlfahrtskasse genannt, übertragen. Ihre
Tätigkeit hat sich als eine durchwegs zweckmässige und
erspriessliche erwiesen. Auch die Verwaltung der beiden
Kollektivversicherungen liegt ihr ob. Erwähnenswert ist
auch der Weihnachtsfonds, der in stetigem Wachsen auf
den Stand von Fr. 6300.— gebracht werden konnte, was
die Aussicht eröffnet, dass in absehbarer Zeit die Kosten
für die alljährlichen Weihnachtsfeiern aus dem Fonds-
erträgnis bestritten werden können. Die erwähnten Spar-
einrichtungen, auf die wir noch zurückkommen, beweisen,
dass den schönen Vorsätzen, die in der Gründungszeit so
leicht gefasst werden konnten, auch die Taten gefolgt
sind.

f) Unterhaltungskommission. Das Gesellschaftsleben
beansprucht auch im Freidorf seine Berücksichtigung. Die
Siedelung hat diesen Anspruch dadurch anerkannt, dass
sie alljährlich sich wiederholende Anlässe veranstaltet: die
Feier des internationalen Genossenschaftstages am ersten
Samstag im Juli, die Jahresfeier am 24. August und die

55

Weihnachtsfeier in der Zeit der Weihnachtsfeiertage. Der
24. August des Jahres 1921, der uns den Weiheakt des
Denksteines brachte und die Delegierten des Internatio-
nalen Genossenschaftskongresses sowie der Präsident der
Schweizerischen Eidgenossenschaft und andere Regie-
rungsvertreter uns mit ihrem Besuche beehrten, wird für
unsere Ur-Siedler ein unvergesslicher Tag bleiben. Wer von
der Landstrasse her in der Mittelachse die Siedelung be-
tritt, dem gibt der Denkstein durch die deutsche Inschrift
(auf der entgegengesetzten Fläche trägt er denselben Text
in französischer Sprache) Auskunft über das Entstehen,
das Wesen und das Wollen des Freidorfes:

«Der Verband Schweiz. Konsumvereine erbaute in den
Jahren 1919, 1920 und 1921 diese Siedelung Freidorf,
im Wirrsal der Zeit eine Heimstätte der Nächsten-
liebe, des Friedens und der Freiheit.»

Die zwei Seitenflächen des Denksteins tragen einer-
seits das Wahrzeichen des Verbandes Schweiz Konsum-
vereine, die Stämme, die sich zu grossen fruchtspendenden
Baumkronen vereinigen, anderseits das Freidorf-Emblem:
ein Haus, das ein freies Heim ist. Dieses darf als eine reife
volle Frucht jenes Genossenschaftsbaumes gelten.

Die erste Ansprache an diesem denkwürdigen
24. August 1921 hielt der Präsident des Aufsichtsrates des
Verbandes Schweiz. Konsumvereine, Dr. Rudolf Kündig.

56

Nach einem herzlichen Willkomm an die Gäste, besonders der-
jenigen, die zum internationalen Kongress gekommen sind, verwies
der Sprecher auf die Inschrift des Denksteins, daraus erklärend, was
das Freidorf in erzieherischer, in genossenschaftlicher und in sozialer
Hinsicht bedeute. Im Freidorf sollen sich die Menschen orientieren
an den hohen Grundsätzen eines Pestalozzi; sie sollen miteinander
und füreinander leben und wirken, wofür die Anfänge bereits gemacht
sind, indem in zahlreichen Kommissionen gearbeitet wird für die An-
gelegenheiten und Bedürfnisse der Bewohner, welche Arbeit aber zu-
gleich dem Genossenschaftswesen überhaupt gilt und Anregung und
Beispiel werden soll für die Genossenschaftsbewegung überhaupt. Die
Freidorfgenossenschaft verpflichtet ihre Mitglieder zur vollen Be-
darfsdeckung bei der Genossenschaft, aber hier haben wir es mit
einem Zwange zu tun, der nicht als lästig empfunden werden kann,
weil der einzelne die Auffassung haben darf, dass das Genossen-
schaftswesen ein taugliches Mittel zur sozialen Befreiung ist.

Der Präsident des Internationalen Genossenschafts-
bundes, G. J. D. C. Goedhart aus Holland, hielt folgende
Ansprache:

«Im Namen des Internationalen Genossenschaftsbundes gebe ich
der Freude Ausdruck, die gesamten Kongressdelegierten und damit
auch die die ganze Welt umspannende Genossenschaftsbewegung
hier zur Feier der glücklichen Vollendung einer edlen Aufgabe ver-
einigt zu sehen. Die Genossenschaftsbewegung hat Tag für Tag neue
und schwere Probleme zu lösen. Eins der schwierigsten ist die Woh-
nungsfrage. In fast allen Teilen der Welt herrscht jetzt Wohnungs-
mangel, und glücklich sind diejenigen, die sich ein Heim geschaffen
haben. Die steigende Flut wurde zunächst mit gleichgültiger Neu-
gierde beobachtet. Man dachte daran, Dämme zu bauen, als das
Wasser bereits über die Ufer trat. Es ist sehr schade, dass nicht eher
begriffen wurde, dass unsere Bewegung, die doch nicht darauf aus-
geht, Profit zu machen, durchaus in der Lage ist, das Problem zu
lösen; denn jetzt ist die Frage sehr viel schwieriger geworden. Die
Gründung einer Siedlung wie «Freidorf» war eine Aufgabe, die viel
Unternehmungsgeist erforderte. Jetzt sind 150 Häuser fertiggestellt
und zum grössten Teil auch bewohnt, und den Mitgliedern der Ge-
nossenschaft fällt die Aufgabe zu, die Siedlung weiter zu entwickeln,
um aus ihr ein schönes Beispiel für die Genossenschafter in der
ganzen Welt zu machen.

Die Erinnerung an diesen Tag wird die Delegierten, wenn sie in
ihre Heimat zurückgekehrt sind, anspornen und ihnen neuen Mut
geben, ähnliche Probleme zu lösen. Nicht Worte, sondern Taten über-
zeugen, und das Beispiel, das wir vor Augen sehen, gibt uns neue
Hoffnung. Auf dem Grabstein des grossen Mitchell auf dem Friedhof

57

in Rochdale habe ich ein Wort gelesen, das er einmal auf einem bri-
tischen Kongress gesprochen hat. Es lautet: «Es gibt viele Wege, die
Lage der Menschheit zu heben; der vornehmste aber ist die Genos-
senschaftsbewegung.» Von der Richtigkeit dieses Ausspruches sind
wir alle überzeugt. Möge «Freidorf» ein glänzender Beweis dafür sein.»

Bundespräsident Schulthess, der als Vertreter des
Bundesrates zum Kongress gekommen war und dort am
Vormittag eine Rede gehalten hatte, in der er seiner grossen
Sympathie für die Genossenschaftsbewegung Ausdruck
gab, wollte das Gleiche auch im Freidorfe tun. Er führte
ungefähr aus:

«Wessen das Herz voll ist, dessen geht der Mund über. Hier im
Freidorf könne man den wahren genossenschaftlichen Geist spüren.
Es müsse gut bestellt sein mit einer Bewegung, die von Männern ge-
leitet werde, deren erste Sorge das Wohl der Gesamtheit sei. Dem
uneigennützigen Geist, der in dieser Gründung sich offenbare, beson-
ders aber Herrn Jaeggi, der das Hauptverdienst an ihr trage, müsse
man alle Ehre zollen. Auch sei allen denen zu danken, die irgendwie
ihre Kraft in den Dienst einer grossen Sache gestellt hätten. Die Ge-
nossenschaftsbewegung zeige uns noch Männer, die dem Volke dienen
wollen und es verschmähen, an Posten zu wirken, wo sie materielle
Vorteile empfangen könnten. Die Siedelung Freidorf wolle ein Ort
der Freiheit sein, wie der Name es schon andeute. Wer frei sein
wolle, könne es sein, sofern er sich über die Strömungen und über
das Gezänk der Stunde zu erheben vermöge. Diese Lebenskunst sei
im Freidorfe möglich, wo der Mensch auf einem würdigeren Niveau
stehe. Hier habe man ein Versöhnungswerk vollbracht, ein Werk, das,
wie auch das ganze heutige Fest, zum Ausdruck bringe, dass uns
eigentlich doch mehr einige als trenne. Möchte jeder dem Volke sein
Bestes geben, damit ein Vertrauensverhältnis zu entstehen vermöge,
das zur unerschütterlichen Grundlage des Staates, zur echten Volks-
gemeinschaft werde. Im Namen der Eidgenossenschaft solle es des-
halb ausgesprochen sein: Dank allen, die in der Nächstenliebe, die wir
im Freidorfe verspüren, ihre Aufgabe erblickt haben und nichts
anderes beabsichtigen, als dem Nächsten zu dienen im Interesse der
Gesamtheit.»

Einer Anregung der Verwaltung folgend, beschloss
die Generalversammlung einstimmig, es sei zur Erinnerung
an jene denkwürdige Feier der 24. August als Jugendtag
des Freidorfes einzusetzen, und diesen Tag mit einem be-
scheidenen Fest zu begehen.

58

Die ordentliche Generalversammlung, die jeweils an
einem Sonntag-Nachmittag stattfindet, hat auch etwas
vom Charakter eines genossenschaftlichen Familienfestes
angenommen. So ist viermal Gelegenheit geboten, dass die
Siedlerschaft zusammen gesellige Stunden verbringen
kann. Die Unterhaltungskommission bekommt hier jeweils
die Aufgabe, die ihr als passend erscheinende Unterhaltung
vorzubereiten und durchführen zu lassen. Dazu bedarf sie
namentlich der Mitwirkung des Volkschors und des Orche-
sters Freidorf. Es darf dankbar anerkannt werden, dass
die beiden Vereine es nie an der Bereitwilligkeit zum Mit-
wirken fehlen lassen. So haben sie jeweils viel zum Ge-
lingen der Anlässe beigetragen und immer aufs neue
Freude bereiten können. Aber auch durch ihre eigenen
Veranstaltungen haben die beiden Vereine, die zu einem
integrierenden Teil des Dorflebens geworden sind, viel zur
Hebung der Geselligkeit, die auch wieder von gutem Ein-
fluss auf das harmonische Zusammenarbeiten in der Sie-
delung ist, beigetragen.

g) Eine Sicherheitskommission hatte das Freidorf ur-
sprünglich zur Leitung des Löschwesens und zur Auf-
rechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingesetzt. Das
Löschwesen ist aber Gemeindesache von Muttenz (Ge-
meindefeuerwehr mit einer besonderen Freidorfabteilung),
und die öffentliche Ordnung soll durch die staatlichen
Organe geschützt werden. In der Anfangszeit hatte die
Sicherheitskommission im Freidorf eine wichtige Aufgabe.
Einbrüche von Landstreichern im provisorischen Laden in
der Kantine und die im Freien lagernden Baumaterialien
Hessen eine Nachtwache durch die männlichen Dorf-
bewohner erforderlich erscheinen. Als der Laden 1924 ins
Genossenschaftshaus verlegt werden konnte, wurde die
Nachtwächter ei nach etwa vierjähriger Dauer aufgegeben.

59

Dann blieb die Sicherheitskommission eine Zeitlang un-
beansprucht, bis ihr die Bekämpfung der Mückenplage Ge-
legenheit gab, an der Seite der Gesundheitspflege gegen
das Übel vorzugehen. Bei öffentlichen Anlässen sorgt die
Sicherheitskommission jeweils dafür, dass sie in rechter
Ordnung durchgeführt werden können.

*

Ungemein wohltätig ist es, dass die Siedelung nicht
von einer speziellen Bevölkerungsschicht ausschliesslich
bewohnt wird. Alle möglichen Berufskreise sind vertreten:
Fabrikarbeiter, Typographen, Büralgehilfen, Büralistinnen,
kaufmännische Leiter, Verwaltungsbeamte, Redaktoren,
freie Berufe und mit den Angehörigen der V. S. K. - Siedler
noch eine ganze Reihe anderer Erwerbstätiger, ca. 600
Bewohner, alt und jung.

Wenn auch die Familie, der häusliche Kreis vor allem
respektiert wird, so bildet sich doch ein gewisses Gemein-
schaftsleben aus; der persönliche Kontakt der Siedler
untereinander wird gepflegt, besonders die Nachbarlich-
keit; hier im Verkehr der Erwachsenen miteinander, der
Eltern und Freunde, soll den Kindern die Verträglichkeit
im Verkehr im weiteren Kreise, Höflichkeit und Anstand
anerzogen werden.

*

Wir haben zwei Grundpfeiler jeder gesunden Wirt-
schaftsführung kennen gelernt in der zweckmässigen Ge-
staltung des Verbrauchs und der Pflege des Sparsinns.

Der Bezug der Lebens- und sämtlicher Bedarfsartikel
im Genossenschaftsladen ist für den Siedler Ehrenpflicht;
einziger Lieferant ist der V. S. K. und einzelne benachbarte
Genossenschaften resp. Tochtergesellschaften des V. S. K.

60

Die im Jahre 1942 eingeschriebenen Güterbezüge erreich-
ten die Summe von Fr. 563,340.—; sie ergibt für die
Siedlerfamilie einen Durchschnittsertrag von Fr. 3755.—.
Vergleichsweise sei erwähnt, dass der Konsumationsdurch-
schnitt der organisierten Konsumenten der Schweiz in den
Konsumvereinen bloss Fr. 750.— beträgt. Die Konzentra-
tion der Kauf- und Konsumkraft Freidorfs ist daher höchst
bemerkenswert; auf die 430,000 konsumgenossenschaftlich
organisierten Schweizerkonsumenten übertragen, könnte
der Jahresumsatz der schweizerischen Konsumvereine
heute bereits 1,6 Milliarden Franken betragen, anstatt
400 Millionen Franken, wie im Jahre 1942. Würde im
Grossen geschehen, was im Freidorf im Kleinen geübt
wird, so Hessen sich sicher die schwierigen Zeitverhält-
nisse viel leichter überwinden.

Es gibt Leute, die es nicht gerne hören, wenn man
vom Sparen spricht. Etwas auf die Seite zu legen, gar
noch bei den heutigen hohen Preisen, erscheint manchem
unmöglich, und er betrachtet es fast als Beleidigung, wenn
man ihm zumutet, dennoch einen Versuch zu machen.

Die Ursache der ablehnenden Haltung liegt meistens
darin, dass man meint, das Sparen lohne sich nur, wenn
man aufs Mal grössere Beträge anlegen könne. Sie denken
an die gewaltigen Überschüsse der grossen Handels- und
Produktionsbetriebe und verzagen, wenn sie ihr karges
Einkommen, daneben setzen. Man vergisst dabei nur zu
oft, was uns V. A. Huber vor allem lehrte, dass viele kleine
Scherflein auch ein Grosses ergeben, und dass auch die
Rappen Macht erlangen, wenn sie regelmässig in den Spar-
hafen fliessen.

Diese Idee wollten wir auf Anregung Dr. Mundings
auch im Freidorf verwirklichen, das Sparen im kleinen ins
Werk setzen, um auf diesem Wege zur sozialen Kapital-
bildung im grossen zu gelangen. Auf 1. Januar des Jahres

61

1921 trat die Freidorf-Spar- und Hilfskasse15) in Aktion.
Die Voraussetzung für das Gedeihen und die Kraftentfal-
tung der Organisation ist eine allgemeine Teilnahme seitens
der Mitglieder der Siedelung. Um diese zu sichern, müssen
die regelmässigen Beiträge nach der Leistungsfähigkeit
der wirtschaftlich schwächsten Glieder bemessen werden.

Demgemäss hat jedes Mitglied pro Tag einen Batzen
(10 Rappen) beizutragen.

Ende Dezember 1942 verfügten die 150 Siedlerfamilien
über 300 Batzen-Sparbüchli und über ein Sparkapital von
Fr. 136,224.75. Der Hilfskassenfonds, heute Wohlfahrts-
fonds genannt, weist die Summe von Fr. 17,800.— auf.

Das Sparkassenreglement ist von derart grundlegender
Bedeutung, dass es zu Nutz und Frommen unserer Leser
an dieser Stelle in seiner ursprünglichen Fassung seinen
Platz finden soll:

§ 1. Unter dem Namen Spar- und Hilfskasse besteht im Frei-
dorf eine Institution, welche den Zweck hat, den Sparsinn und die
Spartätigkeit der Siedler, als eine der wichtigsten Vorbedingungen
für die Verbesserung der häuslichen und genossenschaftlichen Wohl-
standsbildung, zu fördern und, soweit die Mittel der Kasse es ge-
statten, die Erziehungs- und Bildungsbestrebungen innerhalb des
Freidorfs zu unterstützen.

§ 2. Mitglied dieser Kasse können werden jeder Siedler, die
Angehörigen der Siedler und weitere Bewohner der Siedelung. Per-
sonen, welche noch nicht erwerben, können der Kasse nur im Ein-
verständnis mit dem Inhaber der elterlichen Gewalt beitreten.

§ 3. Jedes Mitglied ist verpflichtet, einen täglichen Beitrag von
einem Batzen in die Kasse einzulegen. Diese Beiträge werden
wöchentlich einmal durch Einzüger beim Mitgliede abgeholt.

§ 4. Für jedes Mitglied wird bei seinem Eintritt ein mit seinem
Namen, der Mitgliedsnummer und dem Stempel der Spar- und Hilfs-
kasse versehenes Mitgliedsbüchlein ausgestellt, in welches jeder ent-
richtete Beitrag eingetragen wird.

Dieses Büchlein wird dem Mitgliede bei jeder Beitragszahlung
vom Einzüger zur Eintragung des entrichteten Beitrages vorge-
wiesen. Der Einzüger hat das Büchlein jede Woche nach Beendigung

62


des Einzuges gleichzeitig mit den eingezogenen Beiträgen der Finanz-
kommission zur Kontrolle abzugeben und vor Beginn des Einzuges
für die folgende Woche wieder in Empfang zu nehmen.

§ 5. Die bei der Kasse eingehenden Beiträge sind sofort bei der
Siedelungsgenossenschaft bzw. bei der Bankabteilung des V. S. K. zins-
tragend anzulegen.

§ 6. Sobald das Guthaben eines Mitgliedes den Betrag von
100 Franken ausmacht, was bei regelmässiger Beitragszahlung jeweilen
nach zwei Jahren und 270 Tagen von der ersten Beitragszahlung ab
gerechnet der Fall ist, so wird dieser Betrag von der Spar- und Hilfs-
kasse auf die Depositenkasse des V. S. K. übertragen, dem betref-
fenden Mitgliede in einem Depositenbüchlein gutgeschrieben und
von da ab verzinst, oder es wird ein verzinslicher Anteilschein der
Siedelungsgenossenschaft erworben und dem betreffenden Mitgliede
ausgehändigt.

§ 7. Aus den Zinsen und andern Zuwendungen, welche der
Spar- und Hilfskasse zufliessen, wird ein Hilfskassenfonds gebildet,
der zu Erziehungs- und Bildungszwecken innerhalb der Siedelung
verwendet werden darf.

Über Beiträge aus diesem Fonds entscheidet der Verwaltungsrat
der Siedelungsgenossenschaft nach Anhörung der Finanzkommission.

§ 8. Die Verwaltung der Spar- und Hilfskasse wird von der
Finanzkommission besorgt, welche eine aus einem bis drei Mitgliedern
bestehende Subkommission mit der Verwaltungsarbeit und der Pro-
paganda betraut.

Der wöchentliche Einzug der Beiträge geschieht durch Kinder,
welche sich der betreffenden Subkommfssion zur Verfügung stellen.
Jedes dieser Kinder hat den Einzug bei zehn bis fünfzehn Mitgliedern
zu besorgen.

§ 9. Die Finanzkommission wird regelmässig, mindestens
vierteljährlich einmal, über die Entwicklung und den Stand der Spar-
und Hilfskasse im «Genossenschaftlichen Volksblatt» berichten.

Alljährlich am 31. Dezember ist die Rechnung abzuschliessen
und nach Prüfung durch die Revisoren der Siedelung dem Verwal-
tungsrate zur Genehmigung vorzulegen.

§ 10. Die Mitgliedschaft bei der Kasse erlischt, sobald ein Mit-
glied seine Beiträge nicht mehr entrichtet oder wenn es den Wohn-
sitz in der Siedelung aufgibt. In beiden Fällen werden dem Mitgliede
die einbezahlten Beiträge zurückerstattet.

Beim Tode eines Mitgliedes kann die Mitgliedschaft durch einen
in der Siedelung wohnenden Erben fortgeführt werden.

§ 11. Dieses Reglement ist alljährlich einmal im «Genossen-
schaftlichen Volksblatt» (Auflage Freidorf) abzudrucken.

Um der ganzen Sparaktion nach zwei Richtungen hin
erzieherischen Charakter zu geben, wurde eine Einzugs-

63

Organisation geschaffen, deren Funktionen jugendlichen
Personen beiderlei Geschlechts anvertraut worden sind.
Mit Begeisterung versehen die jungen Siedlerinnen und
Siedler ihren Dienst. Beinahe spielend soll die Jugend
frühzeitig an teilnehmende Mithilfe, Sparsamkeit, Ordnung,
Pünktlichkeit und Verantwortung gewöhnt werden. Das
Wohngebiet der Siedelungsgenossenschaft wurde zu
diesem Zwecke in Quartiere geteilt, die je 10—15 Häuser
umfassen. Jeder Einzüger erhält ein Quartier, das in be-
stimmten Zeiträumen gewechselt wird.

Die Siedler sollen jedoch, trotz der kleinen Spar-
beträge, noch zur Opferwilligkeit erzogen werden. Nur die
vollen Sparbeträge von je 100 Franken werden dem
Siedler verzinst, die Zinsbeträge der Bruchteile von
70 Rappen pro Woche bis zu Fr. 100.— nach zwei Jahren
und neun Monaten regelmässigen Sparens fallen zur Ver-
fügung der Siedelung, die die Zinserträgnisse für Er-
ziehungszwecke, vor allem zur Äufnung des Bibliothek-
fonds, verwendet (Sparfonds, heute Hilfsfonds).

Dabei will aber die Freidorf-Siedelung nicht stehen
bleiben. Auch diese Institution soll den übrigen Schweizer-
Konsumenten Muster und Vorbild sein.

Welche Summen könnten da zusammenfliessen?

Wenn die 430,000 Mitgliederfamilien des Verbandes
Schweiz. Konsumvereine sich an einer solchen Spar-
aktion beteiligen würden, so ergäbe das ein Sparkapital
mit Zins und Zinseszins von

Fr. 43,000.— pro Tag
Fr. 16,330,000.— pro Jahr
Fr. 178,759,500.— nach 10 Jahren
Fr. 543,548,000.— nach 20 Jahren
Fr. 1,101,184,000.— nach 30 Jahren und
Fr. 5,742,846,500.— nach 50 Jahren.

64

Ist der Sinn zum Sparen innerhalb der konsumgenos-
senschaftlichen Organisation einmal geweckt, dann wird
es ein leichtes sein, die Rückvergütung als einen der
wichtigsten Hebel zur sozialen Kapitalbildung zu erkennen
und zu nutzen.

*

Die Frau ist die Seele des Heims. Wir haben daher die
Töchter und Mütter der Siedelung aufgerufen, sich in
kleinen Gruppen zu vereinigen als weibliche Arbeits-
gemeinschaften, um sich einführen zu lassen in die Auf-
gaben des inneren Aufbaus unserer Genossenschafts-
gemeinde, denn nur der lebendige Geist der Gemeinschaft
ist es, der uns vorwärts bringt.

Dem ersten Ruf folgte eine erste Gruppe von 15—20
Frauen, die eifrig an der Arbeit sind.

Im Sinn und Geist der familiären und gemeindlich-
genossenschaftlichen Erziehungslehre Heinrich Pestalozzis
will unsere erste weibliche Arbeitsgemeinschaft als Ger-
trud-Gruppe verstanden sein, deren Bestimmung es ist, in
Familie und Gemeinde Muttersinn und Mutterkraft zu
wecken und zu pflegen, hier wie dort hegende, zusammen-
haltende häusliche Liebe auszulösen und in jeder Weise
das Gute auf allen Gebieten des engeren und weiteren
Gemeinschaftskreises zu fördern.

Die einleitende Lehrmethode gründet sich auf Pesta-
lozzis alles umfassende und auch für die genossenschaft-
liche Erziehung wesentlich entscheidende «Idee der Ele-
mentarbildung». Sie folgt den Prinzipien des von dem
Einfachsten aus stufenweise fortschreitenden Anschauungs-
unterrichts und beschreibt an dem klassischen Werke
«Lienhard und Gertrud» den Weg, der aus der rechten
Lebensgemeinschaft der Familie und des engeren Kreises
zur Lebensgemeinschaft der Genossenschaftsgemeinde
führt. Aus dem Schosse der Gertrudgruppe heraus ent-

65

wickelte sich später eine grosse Zahl Hausfrauen und
Töchter umfassende Frauengruppe, die sich als Sektion
Freidorf dem Konsumgenossenschaftlichen Frauenbund
der Schweiz angegliedert hat.

Die Grundlage, auf der diese Arbeitsgemeinschaft
fusst und weiterbaut, sind die im Anhang dieser Schrift
beigegebenen «Leitsätze und ErziehungsPrinzipien», die
im Auftrag des Verwaltungsrates von der Erziehungs-
kommission auf Grund eines von Dr. K. Munding und
Dr. H. Faucherre gemeinsam ausgearbeiteten und vor-
gelegten Entwurfes aufgestellt worden sind.

Das ist unser Programm, das ist Frei-Dorf!

*

Wer an sonnigen Samstag-Nachmittagen durch unsere
Dorfgassen wandert und die Siedler froh und heiter auf
ihrer Scholle Gartenbau treiben sieht, wobei der Einzel-
mensch, ja die ganze Familie wieder mit der Natur in
engsten Kontakt treten kann, dadurch Leib und Geist stär-
kend, der wird den einfachen und doch so tiefen Sinn des
Namens «Frei-Dorf» voll und ganz erfassen und erfühlen
müssen.

Es hat den Verfasser dieser Blätter wundersam er-
griffen, als im ersten Sommer unserer Siedlerarbeit ein
Städter beim Anblick dieses Bildes spontan ausrief:

«Solch ein Gewimmel möcht’ ich seh’n,

Auf freiem Grund mit freiem Volke steh’n.»

Wenn ehrliche Skeptiker über die zukünftige Entwick-
lung dieses Dorfes auch den Kopf schütteln, uns wird
darob nicht bang. Gewiss, wir nehmen die Einwürfe nicht
leicht, wir nehmen auch heute noch die Menschen so wie
sie sind und nicht so, wie sie sein sollten. Aber wir be-
sitzen den Glauben an die Entwicklungsfähigkeit unserer
Dorf genossen und lassen uns von dem Geiste beseelen.

66

dem der Weihnachtsengel an Freidorfs erster Weihnacht
so tief empfundenen Ausdruck gegeben hat mit den
Worten:

Mich hat der heil’ge Christ gesendet,
Euch meinen Weihegruss zu bringen
Zum schönen Werk, das baulich sich vollendet.
Gross ist die Freud’ an dem Gelingen!
Soll’s geistig wachsen, blühen und gedeih’n.
Baut euch dafür nun selbst die Brücke.
In Eintracht, Nächstenlieb’ und Treu’ allein
Liegt stillverborg’ne Kraft zu diesem Glücke.
Doch da ihr selbst das weitgesteckte Ziel erwählt,
Seid ihr gewiss von edler Glut dafür beseelt.
Den Frieden will wohl euer Streben bringen
Und retten tief gekränktes Recht,
Beschirmen, heiligen der Freiheit Schwingen
Und glücklich machen Herr sowohl als Knecht.
Ein Helfer sein verlass’nen Kleinen,
Hochachten der Familie Heiligtum.
Die langentzweiten Brüder einen,
Mit Lieb erfüllen Alt und Jung!
Das ist der Geist ja, der in Jesus lebt.
Glück eurem Tun, das solche Arbeit pflegt!

4. Das Genossenschaftshaus

ein geistiges Zentrum des Genossenschaftsgedankens

Der Bau

Es hat viel Geduld erfordert, bis nach fast sechs
Jahren, am 24. August 1924, offiziell von dem Hause, das
den Zentralpunkt des Genossenschaftsdorfes sowohl in
materieller, als vor allem in geistiger Hinsicht werden
sollte, Besitz genommen werden konnte. Wie beim meisten,
das in der unsicheren Nachkriegszeit geschaffen werden
musste, haben die Zeitverhältnisse ihre hindernden Wir-
kungen auch auf die Errichtung des Genossenschafts-

67

hauses ausgeübt. Bald nach Beginn der allgemeinen Bau-
arbeiten — Ende 1919 — erfuhr die Verteuerung der
Lebenskosten und Materialien einen verstärkten Auftrieb,
so dass mit höheren Baukosten gerechnet und der erste
grosse Plan für das Genossenschaftshaus einem kleineren
Plane geopfert werden musste. Das verkleinerte Projekt
wies noch knapp die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen
Fassadenlänge auf, dafür sollte das Gebäude um ein
Stockwerk höher geführt werden. Zudem wurde die Aus1-
führung des Genossenschaftshauses auf den Zeitpunkt
verschoben, wo über die Kosten der Wohnhäuser, der
Planierungen, der Anlagen, der Strassen und der Kanali-
sation Klarheit gewonnen werden konnte, denn es musste
unverrückbarer Grundsatz bleiben, dass über die vorhan-
denen Geldmittel hinaus nicht gebaut werden dürfe.

Dieses Zuwarten lohnte sich nicht nur durch ver-
mehrte Zinsenerträgnisse, sondern namentlich auch durch
den um 1921/23 einsetzenden erheblichen Preissturz.
Mussten die Genossenschaften im allgemeinen durch die
eingetretene Wertverminderung ihrer Warenvorräte grosse
Verluste erleiden, so ergab sich für die weiteren Bauauf-
gaben des Freidorfes eine Begünstigung durch die Zu-
nahme des Geldwertes infolge der Verbilligung der Bau-
materialien. Infolge dieses Umschwunges durfte die Bau-
leitung das kleinere Projekt wieder auf geben und zum ur-
sprünglichen Langbau zurückkehren. Nachdem die Ge-
neralversammlung vom 5. März 1922 diesem vergrösserten
Projekte die Genehmigung erteilt hatte, konnte an die
Bauausführung herangetreten werden. Schon gegen Ende
des Jahres war der Rohbau unter Dach.

Die nach der raschen Erstellung des Rohbaues ge-
hegte Hoffnung, dass das Haus auf den Herbst, längstens
auf den Winter 1923 vollendet sein werde, erfüllte sich
nicht. Ein grosser Schreinerstreik in Basel (Mai bis Sep-

68

tember 1923) hatte während mehr als einem halben Jahre
den Stillstand der wichtigsten Bauarbeiten zur Folge. Die
Weihnachtsfeier 1923 konnte allerdings im geschlossenen
und geheizten, wenn auch unfertigen Saale abgehalten
werden16), und am Silvesterabend fanden sich zahlreiche
Siedler und Siedlerinnen zusammen, um hier im neuen ge-
meinsamen Heim in edler Geselligkeit den Übergang vom
alten ins neue Jahr zu vollziehen.

Die letzten Monate des Jahres 1923 und besonders
die ersten Monate des Jahres 1924 brachten das Genossen-
schaftshaus Stück um Stück der inneren Vollendung nahe.
Mit Anfang April konnte die Warenvermittlung, die seit
Herbst 1920 im ehemaligen Kantinengebäude bei allerlei
Unzulänglichkeiten vor sich gehen musste, in der neuen,
prächtigen Verteilungsstelle des Genossenschaftshauses
zufriedenstellender weitergeführt werden. Nach Ostern
brauchten die Freidorfschüler und ihr Lehrer nicht mehr
in die Baracken-Schulstube, die im November 1920 eben-
falls im Kantinengebäude bezogen wurde, zurückzukehren;
sie konnten mit ihrem bisherigen Lehrer und der neuen
Lehrerin das neue Schuljahr im schönen, mustergültigen
Schulzimmer — sie liegen im Ostflügel — beginnen. Im
geräumigen Lehrerzimmer fand auch die Freidorfbiblio-
thek ihren definitiven Standort. Auf den 1. Juni 1924 war
das Gebäude völlig betriebsbereit.


69

Das Genossenschaftshaus ist ein Bau von 70 X 14,5 m
Grundfläche, 28 Fensteraxen lang, zweigeschossig und mit
ausgebautem Dachstock. Äusserlich einförmig, birgt sein
Inneres vielgestaltig Gemeinde-, Gast-, Schul- und Ein-
kaufshaus der Siedelung sowie die notwendigen Seminar-
räumlichkeiten. Seinen vier Hauseingängen entsprechen
etwa die vier getrennten Betriebszweige dieses Hauses:
Verteilstelle (Konsumgenossenschaft), Schule, Wirtschaft
und im Obergeschoss die Versammlungs- und Seminar-
räume.

Im Wirtschaftsflügel gruppieren sich um ein zentrales
Office Speisezimmer und Tagesrestaurant und die Küche,
dazu ein direkter Zugang zum Wirtschaftskeller und ein
Speisen- und Wäscheaufzug nach allen Etagen. Zum Wirt-
schaftsbetrieb gehören ausserdem die Haupthalle und im
Keller eine stark benützte Kegelbahn, Waschküche und
Glätteraum; im ersten Stock ein Office zur Bedienung der
Versammlungssäle und im Dachgeschoss die Flucht der
Gastzimmer mit Wirtewohnung, Baderaum und die Schlaf-
zellen der Seminarschüler.

Die Verteilstelle ist schaufensterlos, mit gesonderten
Eingängen für Käufer und Güter und ausschliesslich nach
sanitären und nicht nach repräsentativen Gesichtspunkten
durchgebildet. Das Publikum steht in der Mitte des Ver-
teilraumes und übersieht daher alle Güterkojen seiner Ver-
teilstelle. Der Lagereingang ermöglicht direkten Zugang
zum Betriebsbureau, zum Lagerraum, zur Verteilstelle, zur
Kellertreppe und zum Güteraufzug des Konsumkellers.

Im Schulflügel betritt man durch eine rote Garde-
roben- und Treppenhalle die Klassenzimmer der Freidorf-
schule und das Lehrerzimmer. Dem Handarbeitsunterricht
ist im Untergeschoss ein heller Raum reserviert, während
im Dachgeschoss eine geräumige Turnhalle unter-
gebracht ist.

70

Das Obergeschoss vereinigt nun den grossen Ver-
sammlungssaal für 500 Personen mit Bühnenpodium und
Kinokabine, einen Vortragssaal, Sitzungsraum sowie ver-
schiedene Räume des Genossenschaftlichen Seminars (Stif-
tung von Bernhard Jaeggi).

Im Äussern unterwirft sich auch das Genossenschafts-
haus dem baulichen Einheitsgesetze der ganzen Siedelung:
einfachste Durchbildung des Baukörpers, der Dachform,
der Hauswand, der Bauteile; einheitliches Modul der
Flächenaufteilung, der Maueröffnungen, der Details. Im
Innern galt die Regel, Grundformen der Raumbildung zu
reihen. So durchschreitet man vom Haupteingang her den
Würfel des Windfanges, den Querraum der Pfeilerhalle,
den Hochraum der Haupttreppe, die zwei Kassetten der
Wirtschaftsräume, die Längsräume der Nebensäle bis zur
Weiträumigkeit des grossen Saales. So wandert man beim
Durchschreiten der Säle von eng zu breit, von flach zu
hoch, von quer zu längs, von bedrückt zu befreit, begleitet
vom Dreiklang der Wandfarben Weiss-Blau-Rot, Stein-
stuck-Kobalt-Zinnober. Uber all dem thront auf hoher
Dachfirst der Dachreiter mit Terrasse und Schlaguhr, und
erd- und himmelwärts kündet aus seinem Kupferbauche
das Glockenspiel mit:

c, es, f, g, a, c
die Stunde, das Fest und den Tod.

Das Genossenschaftliche Seminar

(Stiftung von Bernhard Jaeggi)

Über die vielgestaltigen Anlässe im Freidorf, die von
der Erziehungskommission, zum Teil in Verbindung mit
der Unterhaltungskommission, alljährlich durchgeführt
werden und dem Gemeinschaftsleben der Dorfbewohner
ein bestimmtes Gepräge geben, insbesondere seitdem das
Genossenschaftshaus seiner Bestimmung übergeben wor-
den ist, haben wir bereits berichtet. Auch die Schulräume

71

und die Bibliothek sind im Genossenschaftshaus unter-
gebracht, um das Gute und Edle zu wecken und zu pflegen.

Wir haben jedoch noch einer Institution zu gedenken,
die zwar rechtlich nicht zum Freidorf gehört, jedoch zur
Siedelung in engster Beziehung steht und auch das geistige
Leben in der Siedelung durch ihre Ausstrahlungen wesent-
lich befruchtet. Es handelt sich um das Genossenschaft-
liche Seminar (Stiftung von Bernhard Jaeggi) mit Sitz im
Freidorf.

Im Bericht des «Genossenschaftlichen Seminars», der
die Jahre 1923—1940 umfasst, lesen wir zur Begründung
dieses Erziehungsinstituts das folgende:
--
«Die sittliche Idee des Genossenschaftsgedankens
ist sein ewiger Wert. Sie steht über aller wirtschaft-
lichen und sozialen Betätigung als richtunggebend und
ordnet damit das genossenschaftliche Leben und
Streben in das ethische Ziel der Gesamtmenschheit
ein. Wenn, wie in der Genossenschaft, eine mensch-
liche Gemeinschaft auf dem Prinzip der Gegenseitig-
keit gegründet ist, dann erfordert die soziale Folge-
rung des guten Zusammenschlusses, der gegenseitigen
Stützung, das Zusammenwirken weit mehr als nur die
theoretische Anerkennung der wirtschaftlichen Not-
wendigkeit solchen Gebarens. Es ist die sittliche Hal-
tung jedes einzelnen notwendig, die eine Eindämmung
seines Egoismus zur Selbstverständlichkeit, die gegen-
seitige Hilfe zu einer Lebensforderung macht und
den inneren Frieden zum Ziel der Selbsterziehung
erst ermöglicht.

Wenn nicht solche Haltung des einzelnen erzielt
wird, bleibt die Organisation nur eine leere Form, die
zerbricht, sobald ernste Forderungen sittlicher Natur
an die Beteiligten herantreten. Es ist daher sittliche
Erziehung notwendig, um genossenschaftliches Leben
praktisch durchführbar zu machen.»
--
72


Dr. Jaeggi, der über drei Jahrzehnte hindurch die Ge-
schicke der schweizerischen Konsumgenossenschaftsbewe-
gung massgebend beeinflusste, hat schon sehr früh er-
kannt, dass die rein wirtschaftlich-materielle Seite für die
Entwicklung der Genossenschaftsbewegung nicht das Aus-
schlaggebende sei, sondern dass es zum mindesten in ebenso
hohem Masse auf die genossenschaftliche Erziehung an-
komme.

Die erste offizielle Kundgebung in dieser Erkenntnis-
richtung war die Veröffentlichung der von Jaeggi in
Verbindung mit Dr. K. Munding entworfenen «Richtlinien
zur weiteren Entwicklung der Genossenschaftsbewegung».
Im Artikel 25 der «Richtlinien» lesen wir den Satz, der
bereits die Idee der Notwendigkeit einer systematischen
Genossenschaftsschulung ankündigte: «Aus den wesent-
lichen Grundsätzen des sozialpädagogischen Erziehungs-
werkes Pestalozzis müssen die für das genossenschaftliche
Erziehungs- und Verwaltungswesen entscheidenden Prin-
zipien scharf herausgestellt und für die methodische
Schulung und Bildung aller persönlichen Genossenschafts-
kräfte verwertet werden.»

Am 5. Juni 1923 errichtete Dr. B. Jaeggi durch eine
Stiftung das «Genossenschaftliche Seminar». Durch Sit-
zungsgelder und Entschädigungen, die Dr. Jaeggi als Ver-
waltungsrat und Kommissionsmitglied in eidgenössischen,
kantonalen und wirtschaftlichen Organisationen erhielt,
hatte sich ein Vermögen von Fr. 50,000.— angesammelt,
das er dem zu gründenden Seminar geschenkweise über-
machte. Durch weitere Sammlungen und jährliche gross-
zügige Zuwendungen des V. S. K., verschiedener Zweck-
genossenschaften, zahlreicher Konsumgenossenschaften,
anderer genossenschaftlicher Vereinigungen und privater
Gönner weist das Genossenschaftliche Seminar Ende 1942
einen Vermögensbestand von Fr. 1,021,145.81 auf.

73

Der Sitz des Seminars ist das Freidorf. Das Genossen-
schaftliche Seminar begann seine segensreiche und frucht-
bringende Arbeit nach Abschluss der Errichtung des Ge-
nossenschaftshauses am 29. August 1926 mit einem vier-
zehntägigen Kurs für das Genossenschaftswesen.

Die genossenschaftliche Erziehungsarbeit, wie sie im
Genossenschaftlichen Seminar gepflegt wird, verläuft in
doppelter Richtung. Einmal ist sie reine Berufsbildung der
in der Organisation Tätigen, insbesondere des Verkaufs-
personals, dann aber auch liegt sie im Erstreben einer ent-
sprechend hohen Allgemeinbildung derer, die die Lehrzeit
oder einzelne Kurse des Seminars mitmachen. Und
schliesslich, über diese Bildungsförderung der eigenen
Organisationsmitglieder hinaus, lag dem Stifter die Frage
der Volksbildung im allgemeinen am Herzen, so dass sich
hier noch eine dritte Richtung geistiger Erziehungstätig-
keit des Seminars ergibt, die ihre Gestaltung in öffent-
lichen Wintervortragskursen und Veranstaltungen aller
Art findet.

Gerade die zuletzt erwähnten Veranstaltungen bilden
eine willkommene Ergänzung der Bestrebungen der Er-
ziehungskommission des Freidorfes, die geistigen und kul-
turellen Bedürfnisse der Freidorfbewohner zu fördern.

5. Stiftung zur Förderung

von Siedelungsgenossenschaften

Der grosse Segen der Freidorfgründung liegt darin,
dass auch das Gute immer wieder Gutes zu zeugen im-
stande ist.

Im Freidorfgedanken lag ein goldener Kern versteckt,
der alsbald zu keimen begonnen hat und bereits im Jahre
1923 einen ansehnlichen Wert an die Oberfläche ge-
stossen hat.

74

Die Siedelungsgenossenschaft Freidorf ist etwas un-
gleich Grösseres, als die Zahl ihrer Häuser auf den ersten
Blick zeigt; denn das Gedankliche, die Idee, die dieser
Gründung innewohnt, vermag ihr ein seltenes Grossmass
zu verleihen.

Im Vertrage vom 4. November 1921 zwischen dem
V. S. K. und der Siedelungsgenossenschaft Freidorf ist in
Artikel 8 vorgesehen, dass die jährlichen Überschüsse, die
sich laut Betriebsrechnung für die Liegenschaften nebst
Gebäulichkeiten und Anlage der Siedelungsgenossenschaft
Freidorf in Muttenz ergeben, dem V. S. K. zu übermitteln
seien. Dieser habe sie einer noch zu errichtenden Stiftung
zu gleichen Zwecken, die bei der Gründung des Freidorfes
beabsichtigt waren, zuzuweisen.

Durch Vereinbarung mit dem V. S. K. ist durch nota-
riellen Akt unter der Firma «Stiftung zur Förderung von
Siedelungsgenossenschaften» mit Datum vom 3. Mai 1923
eine Stiftung mit Sitz in Muttenz errichtet worden, die
nunmehr in die im oben erwähnten Vertrage stipulierten
Rechte eintritt. Bei der Annahme, dass die Liegenschaften
der Siedelungsgenossenschaft Freidorf alljährlich einen
Mietzins von rund Fr. 140,000.— einbringen und die Hälfte
für den Unterhalt, den Ausbau und die Amortisation ver-
wendet werde, so dürften voraussichtlich regelmässig
Fr. 70,000.— pro Jahr für die neue Stiftung zurückgelegt
werden können. Diese Einlagen und die kapitalisierten
Zinserträgnisse würden gestatten, nach 38 Jahren eine
weitere Siedelung, nach weiteren 27 Jahren eine dritte
Siedelung und nach weiteren 21 Jahren eine vierte Siede-
lung zu erbauen. Nach 100 Jahren wären fünf Siedelungen
erbaut, von der Annahme ausgehend, dass jede Siedelung
rund 7 V2 Millionen Franken erfordern würde. Da jede
Siedelung gleich wie die erste die jährlichen Überschüsse
dieser Stiftung zur Förderung von Siedelungsgenossen-

75

schäften zuzuweisen hätte, so wären, wenn wir die Sache
theoretisch weiterspinnen, nach 300 Jahren die dannzumal
eingehenden Zinserträgnisse derart gross, dass nahezu
jedes Jahr eine Siedelung im Werte von 7 V2 Millionen
Franken errichtet werden könnte. Wenn wir uns auch
nicht über die Gestaltung der Verhältnisse nach drei Jahr-
hunderten aussprechen können, so zeigen diese Zahlen
immerhin, welch grosser Gedanke in der Siedelung ruht
und welche grosse soziale Wohlfahrt sie für spätere Gene-
rationen bereits in sich birgt.

Die Nachkriegs- und vor allem die Krisenzeit hat es
mit sich gebracht, dass die Steuerlasten und andere öffent-
liche Abgaben ständig anstiegen, so dass normalerweise
nur Fr. 50,000.— statt der vorgesehenen Fr. 70,000.— jähr-
lich der Stiftung überwiesen werden konnten; in den
letzten Jahren, infolge grosser Erneuerungsarbeiten, muss-
ten vorübergehend die Überweisungen sogar gänzlich ein-
gestellt werden.

Der Stand des Stiftungskapitals auf 1. Januar 1943 er-
reichte immerhin die Summe von Fr. 1,243,734.—.

6. Die Bewährung

Nachdem wir bei der Neuauflage der vorliegenden
Schrift auf ein nahezu fünfundzwanzigjähriges Bestehen
und Wirken unserer Siedelungsgenossenschaft zurück-
blicken können, drängt sich auch die Frage auf: Wo stehen
wir mit unserem Streben, sind wir den vorgesteckten Zielen
nähergekommen?

In materieller Hinsicht hat sich die Siedelungsgenos-
senschaft Freidorf ausgezeichnet entwickelt, was die
untenstehende Tabelle recht eindrücklich zu beweisen
vermag.

76

Uber das geistige Wachstum einer Bevölkerungs-
gruppe, über den sich entwickelnden Gemeinschaftssinn
und -geist zu berichten, ist nicht so leicht, denn hier gibt
es keine zahlenmässigen Resultate anzuführen, die für sich
sprechen können; auch kommt es sehr wesentlich darauf
an, welchen Massstab wir an die Zielsetzung unserer
ethischen Forderungen stellen. Fünfundzwanzig Jahre sind
zudem noch kein Menschenalter, und die natürliche Fluk-
tuation im Zu- und Abgang der vorhandenen Bevölke-
rungsgruppe spielt ebenfalls einen nicht zu unterschätzen-
den Einfluss.

Grundsätzliches über das Wesen der Gemeinschaft

In einer ausgezeichneten Schrift über die Gemein-
schaft in der Schweiz lesen wir die folgenden Sätze:

«Nirgends und niemals in der Geschichte ist das
Ideal einer absoluten Gemeinschaftlichkeit ganz und
von selber erfüllt. Es gibt ja nur ein Mehr oder
Weniger….

Menschliches Dasein, zumal kulturmenschliches,
ist unlösbar vom individuellen einzelnen, der sein
Träger und sein Verwirklicher ist. Es ist darum
ständig durchzittert von der Auseinandersetzung
zwischen den Ansprüchen dieses einzelnen und denen
seiner Mitwelt. Weil der einzelne in dieser Mitwelt
unlösbar eingebettet ist und ohne sie nicht leben
könnte, untersteht er auch unweigerlich ihren An-
sprüchen, so jedoch, dass er sie je und je erst aus
eigener Freiheit erfüllen und als eigenes Verhalten in
sein Tun übernehmen muss…. Er merkt das vor allem
daran, dass der Schaden und das Leid, das neben dem
Nutzen und dem Glück aus solchem Gemeinverhalten
erfolgt, ihn doch je als einzelner trifft. . . .

77

17)

Darum ist es denn gar keine richtig gestellte Frage,
wenn das Problem in der Form einer Alternative oder
eines Gegensatzes von Individuum und Gemeinschaft
gesehen wird. Vielmehr bleibt der einzelne die unan-
tastbare übergeordnete Instanz, und Gemeinschaft
oder Nicht-Gemeinschaft sind lediglich Formen seines
Verhaltens….

Das Individuum aber als Träger des Lebens ist erst
dann vollgültig das, was es ist, was es sein kann und
sein soll, wenn es den Vollzug von Gemeinschaft in
die Mitte seines Lebens aufgenommen hat: den Voll-
zug des Miteinanderseins mit seinesgleichen und mit
der Welt und die Erfüllung jener unabdingbaren Ver-
pflichtung, durch die es über alle Gegensätze hinweg
und durch alle Interessenkämpfe hindurch mit den
andern wesensverbunden und für ihr Sein mitverant-
wortlich ist. . . .

Gemeinschaftlichkeit — die im Grunde gewollte
Ordnung des Lebens — ist etwas, was seinem Sinn
nach sich nicht von selber verwirklichen kann, son-
dern erst eine Aufgabe jedes einzelnen ist.»18)

Um den Zustand der erstrebten Gemeinschaft zu er-
reichen, ist Erziehung der Individuen nötig, um Über-
zeugungskraft und Tatwillen zu erreichen, «denn blosse
Gesinnung und die ernsthafte Bemühung um eine gemein-
schaftsbestimmte Haltung allein genügt selten — wegen
der Anfälligkeit alles Menschlichen — es sind vielmehr
nötig auch noch sinnentsprechende positive wirtschafts-
und sozialpolitische Regelungen, Gesetzgebungen und gar
Zwangsmassnahmen, um die tatsächliche Verwirklichung
von Gemeinschaft in die Sphäre der Realität zu garan-

80

tieren. Aber alle diese Massnahmen müssen dem gleichen
Geist entspringen. Es ist das Gebot der Liebe, das die
Menschen verbinden und einen solle. Richtschnur des ein-
zelnen zur Schaffung lebendiger Gemeinschaft muss sein:
in seinem täglichen Tun und Lassen ein Verhalten zu ver-
folgen, in dem das Wohl und das Heil des andern als ein
vom eigenen unabtrennbares mitgewollt sei.»19)

Aufgabe und Ziel der Siedelungsgenossenschaft Freidorf

Schon der Name der Genossenschaft «Siedelungs-
genossenschaft Freidorf» bezeichnet das Wesen derselben.
Es ist eine Siedelung auf genossenschaftlicher Grundlage
und ein Dorf, im Gegensatz zur Stadt, und zwar ein Frei-
dorf, weil die Menschen dort frei sollen wohnen können,
frei, indem sie genügend Raum haben und weil das Dorf
von jeder Schuldenlast frei sein soll. Zweck der Genossen-
schaft ist die Förderung der sozialen Wohlfahrt und die
Verbesserung der Lebenshaltung ihrer Mitglieder. Sie
sucht ihren Zweck nicht nur durch Herstellung von ge-
sunden Wohnungen zu erreichen, sondern auch dadurch,
dass sie ihren Mitgliedern alles, was sie zum Leben be-
dürfen, gemeinsam beschafft.

Freidorf will versuchen, Vorbild zu werden. Eine
Grundbedingung dazu, um das durchführen zu können,
was bezweckt wird, ist, dass die Bewohnerschaft gewillt
ist, sich gegenseitig zu verstehen und mit Mut und Tat-
kraft an das gemeinsame Werk heranzutreten.

Mit der Freidorfgründung wollte man bewusst neue
Wege in der Gemeinschaftsbereitung gehen. Es war die

81

Errichtung eines Dorfes, in dem die Häuser nicht nur
Dach und Fach für soundsoviel Menschen sein sollten,
sondern Heimstätten, in denen mit dem gut Familienhaften
sich das gut Genossenschaftliche verbinden müsse, um
dann seine weiteren Auswirkungen zu suchen und zu
finden im Mittun mit allen für alle, also durch Gemein-
schaftsdienst für das Gemeinwohl.

Es durfte nicht vergessen bleiben: «Wer Gemeinschaft
wecken will, muss zuerst den einzelnen umbilden, fördern,
entwickeln. Es ist irrig, zu meinen, wenn die Zustände ge-
bessert würden, besserten sich auch die Menschen ganz
von selber.» (Guggisberg.)

Neben der Bereitstellung von schönen Heimstätten
musste versucht werden, die Gefühle für gute Nachbar-
schaft, aktive Hilfsbereitschaft, edle Geselligkeit zu wecken
sowie die Betätigung der genossenschaftlichen Aufgaben:
Bezugstreue, Förderung des kollektiven Spargedankens
und organisierte Freizeitbewegung.

Die Bedenken

Anlässlich der Gründungsverhandlungen des Frei-
dorfes äusserten sich Pessimisten und Optimisten. Die
Menschen — so lauteten z. B. die Bedenken — haben
leider noch zu grosse Fehler und Schwächen, als dass von
einer derartigen Siedelung die Erfüllung der ihr zuge-
dachten Gemeinschaftsaufgaben erwartet werden dürfte.
Es wurden auch Zweifel gesetzt in ein durch und durch
gutes Einvernehmen, das doch nicht fehlen dürfe, wenn
die in die Siedelung gesetzten Erwartungen sich erfüllen
sollen. Ein basellandschaftlicher Regierungsrat erklärte,
dass er sich über das neue Dorf freue — nicht wegen des
Zuzuges von Bewohnern, die dem Kanton Baselland wahr-

82


scheinlich mehr Lasten als Einnahmen bringen würden,
sondern weil das neue Dorf ein Musterdorf werden solle.

Heute dürfen wir die Hoffnung aussprechen, dass sich
Gemeinde und Kanton über das Dasein der Siedelungs-
genossenschaft Freidorf ungeteilt freuen dürfen. Freidorf
darf nach seinem äusseren Aspekt und nach seinen bau-
lichen, wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen ohne
Uberhebung als Musterdorf angesprochen werden. Auch
hat die Siedelung und die Bewohnerschaft weder dem
Kanton noch der Gemeinde irgendwelche namhafte Be-
lastung gebracht, denn in den ersten 24 Jahren ihres Be-
stehens hat die Siedelungsgenossenschaft Freidorf an Kan-
ton und Gemeinde an öffentlichen Abgaben über 1,2 Mil-
lionen Franken entrichtet, nicht eingerechnet den Arbeits-
verdienst an das Handwerk sowie die persönlichen Steuern
der Siedler, die als Fixbesoldete ebenfalls in ansehnlichem
Masse ihrer Steuerpflicht genügen.

Die Optimisten haben recht behalten. Die Freidorf-
bewohner sind zwar keineswegs bessere Menschen als die
andern. Sie leben auch nicht in klösterlicher Abgeschlos-
senheit von der übrigen Aussenwelt.

Sämtliche Bewohner sind zwar Genossenschafter;
diese Tatsache gibt aber noch keineswegs dafür eine
Garantie, dass wir einer lebendigen Gemeinschaft be-
gegnen. «Gemeinschaft nämlich erzeugt eine bisher nicht
vorhandene Gestalt, das Wir, das mit der Summe der ein-
zelnen nicht identisch ist.»20)

Nicht die Rechtsform, das seelische Verhalten der
Verbundenen entscheidet. Der Freidorfbewohnerschaft
darf das Zeugnis ausgestellt werden, dass sie ehrlich be-
müht und bestrebt ist: ein Wir, eine lebendige Gemein-
schaft anzustreben, wobei uns klar bewusst ist, dass voll-
kommene Gemeinschaft ein Ideal bleibt.

83

Guter Gemeinschaftsgeist


Im Freidorf ist das genossenschaftliche Fühlen und
Denken beim Grossteil der Bewohner nicht leerer Schall.
Die nachbarlichen Beziehungen der Siedler untereinander
sowie Flandreichungen und Hilfsbereitschaft sind erfreu-
lich gute.

In den einzelnen Jahresberichten der Siedelung stossen
wir immer wieder auf die erfreuliche Feststellung, wie z. B.
auf die folgende:

«Wir dürfen denn auch, mit Befriedigung fest-
stellen, dass im allgemeinen unter den Bewohnern des
Freidorfes ein gutes Einvernehmen herrscht, und dass
den Siedelungsaufgaben viel Verständnis und viel
guter Wille entgegengebracht wird. Ich hatte schon
zu wiederholten Malen Gelegenheit, zu bemerken,
dass wir uns hier im Freidorf wirklich als eine grosse
Familie fühlen dürfen, in der allerdings, wie das auch
in kleinerem Kreise Vorkommen mag, die einen von
etwas mehr, die andern von etwas weniger Familien-
sinn beseelt sind.

Wohl mögen die Meinungen der Siedler in vielen
persönlichen Dingen, in religiöser, in politischer und
anderer Hinsicht auseinander gehen; wir wollen aber
einig sein im Willen, der Genossenschaftsidee und der
gemeinsamen Sache zu dienen.

Es ist gewiss, dass es in den verflossenen 20 Jahren
gelungen ist, im begrenzten Kreise unserer Bevölke-
rung einen genossenschaftlichen Geist zu pflanzen
und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen, die
dem Schweizervolke zum grossen Vorteil gereichen
würden, wenn es möglich wäre, die Bestrebungen und
die Verwirklichungen in unserem Dorf auf wohl-

84


meinende Kreise in anderen Gegenden unseres
Landes zu übertragen.

Gewiss wird man, wie bis anhin, so auch in
Zukunft mit den menschlichen Unzulänglichkeiten
rechnen müssen. Aber die materiellen und die kultu-
rellen Ergebnisse der hinter uns liegenden Gemein-
schaftsarbeit rechtfertigen die Hoffnung und den
Glauben an eine Besserung der Menschen, wenn es
möglich ist, ihnen geordnete und vernünftige Lebens-
haltung zu verschaffen, wenn es möglich ist, in ihnen
das Verantwortungsgefühl gegenüber den Mit-
menschen zu vertiefen und zu entwickeln.»21)

Viel zu dem schönen Familiengeist im Freidorf tragen
bei der Volkschor Freidorf und das Orchester, die beide,
seit der Gründung der Siedelung, viel für die Dorfgemein-
schaft geleistet haben.

Ein „Gemeinwerch"

Auch im obligatorischen «Gemeinwerch» betätigten
sich die Siedler mit frohem Sinn.

Im Jahresbericht für 1921 lesen wir u. a.: «Der Ge-
meinschaftsgeist, auf den es im Freidorf in erster Linie
ankommen muss, hat eine gute Probe abgelegt durch den
Wachtdienst, der äusserlich betrachtet als eine Wieder-
geburt des Nachtwächters von «anno dazumal» erscheinen
könnte, höchstens dass dem Freidorfwächter kein Spiess
und kein Horn gegeben und der Stundenruf erlassen wird.
Aber die Einrichtung weist doch etwas auf, das mit den
neuzeitlichen Forderungen im Einklang steht: die Hin-

85

gäbe des einzelnen für die Sicherung allgemeiner Inter-
essen. Die beiden Einbruchdiebstähle von Landstreichern
im Kantinenareal ausserhalb der Siedelung (provisorischer
Laden und Schullokal) drängten allen Siedlern die Über-
zeugung auf, dass künftige Schäden verhindert werden
werden müssten. Die beste Lösung der bezüglichen Auf-
gabe schien ihnen darin zu bestehen, dass sie im «Gemein-
werch» jeden Monat ein- oder zweimal des Nachts wäh-
rend zwei bis drei Stunden (von 22 Uhr bis 5 Uhr morgens)
der Reihe nach Wache halten und in der Siedelung pa-
trouillieren wollten. Achtzehn- bis Fünfzigjährige sollen
diese Ehrenpflicht erfüllen, und ältere Jahrgänge dürfen
ebenfalls dabei sein, wodurch aber nicht der Spitzwegsche
Originalnachtwächter aufgestellt, sondern vielmehr gezeigt
wird, wie in einer wirklichen Gemeinschaft jeder seine
Mitarbeit für die allgemeinen Bedürfnisse zu leisten hätte.»

Mit grosser Hingebung und Pflichteifer wurde ge-
wacht und patrouilliert. Der gut funktionierende Wacht-
dienst war Warnung, und nur selten gab es in den Wacht-
jahren aufregende Momente. Hin und wieder aber auch
frohe und gemütliche Intermezzi.

Es sei uns gestattet, aus der Erinnerung den Silvester-
wachtbericht 1922/23 wieder aufleben zu lassen. Wir lesen
darin:

«Schon einige Tage vor Silvester munkelte man,
dass der Silvesterwache auch dieses Jahr eine ange-
nehme «Überraschung» harre. Es gab denn auch ein
«heisses Wettlaufen» beim Wachtchef um Berücksich-
tigung für die letzte und erste Wache 1922/23.

Diejenigen Siedler, die dann das «Glück» hatten,
den Wachtzettel für den 31. Dezember bis 1. Januar
zu erhalten, erwartete auch wirklich wiederum ein
von zarter Hand und lieben Siedlerinnen vorbereiteter
sinnreicher Gruss.

86

Die drei Flaschen Wein, der wohlgeratene Gugel-
hopf und das Dutzend feine Zigarren, die im lieb-
lichen Duft der Tannenzweige versteckt waren, Hessen
denn auch die Wache zu einem recht angenehmen
Dienste gestalten. Es fehlten nur noch die «Marketen-
derinnen»! Recht so, ihr lieben Siedlerinnen, so sollte
es immer sein! Dann würden sich die Siedler vielleicht
weniger auf den Abschluss der Dorfwache «freuen».

Als das grandios schaurig-schöne Schauspiel des
Goetheanumbrandes vorbei war, der nächtliche hell-
erleuchtete Himmel allmählich verblasste und nur
noch eine hohe Rauchsäule den Ort des traurigen Er-
eignisses kennzeichnete, trat die dritte Ablösung ihren
Dienst an und fand gewiss mehr als den ihr zufal-
lenden Teil vor; dies zur Beruhigung der edlen Spen-
derinnen; es wurde also brüderlich geteilt.

Die Wachtmannschaft von der Silvesternacht
1922/23 spricht den aufmerksamen Siedlerinnen auch
dieses Jahr den herzlichsten Dank aus und ruft ihnen
ebenfalls ein kräftiges «Prosit 1923» zu!»

Während vier Jahren (1921—1924), bis das Genossen-
schaftshaus erstellt und bezogen werden konnte, dauerte
Sommer und Winter der Wachtdienst. Männiglich war
froh, als die letzte Wache vorüber war, und dennoch, alle
Ursiedler, die an diesem Gemeinwerk mitzuwirken hatten,
denken heute noch mit Freude zurück an unsere Pionier-
zeit. Es stimmt, wenn der letzte Wach trapport mit den
Worten schliesst:

«Eines ist sicher! Viele Siedler haben sich bei der
Wache gegenseitig näher kennen gelernt, haben auf
der Wache Freud und Leid geteilt, und es war gut so,
besonders da man sich am Anfang noch mehr oder
weniger «fremd» gegenüberstand.»

87

Ein ergreifendes Bekenntnis

Der verdiente erste Präsident der Siedelung, Johannes
Frei, sandte wenige Wochen vor seinem Tode, vom
Krankenbette aus der Siedlerschaft den nachfolgenden
Neujahrsbrief, der besser als viele Worte vom Gemein-
schaftsstreben und Geiste der Freidorfbewohner Kunde gibt:
«Schon im Jahre 1930 erkrankt, konnte ich die mir
im Vorstande der Siedelungsgenossenschaft Freidorf
zugewiesenen Funktionen noch bis nach der General-
versammlung erfüllen. Dann musste ich aber auch
diese Wirkungsmöglichkeit aufgeben, um so mehr, als
die Verumständungen mich zeitweise zu Heilungs-
und Erholungszwecken vom Freidorfe fernhielten.
Aber merkwürdigerweise blieb ich der Siedelung um
so näher, je mehr mich Distanzen und schwere Um-
stände von ihr trennen wollten. Das war wohl nur
eine Folge des Verwachsenseins mit dem Orte, der
uns seit etwa zehn Jahren Heimat in räumlicher, per-
sönlicher und seelischer Hinsicht sein konnte, und
als Eigentümlichstes ergab sich wohl das Gefühl, dass
unsere kleine Siedelung etwas ungleich Grösseres war,
als die Zahl ihrer Häuser dem Blicke zeigen konnte,
denn das Gedankliche vermochte ihr seltenes Gross-
mass zu geben.

Dass auch bei weniger Verbindungskraft meine
Fäden zum Freidorf nicht hätten abbrechen können,
dafür sorgten die vielen Zeichen, die von dorther
kamen und mir mit aufmunternden Wünschen Freude
bereiteten und Kräfte spendeten zum leichteren Er-
tragen dessen, was mir beschieden war. Das tat der
Vorstand, und es taten es seine Mitglieder, aber neben
ihnen noch viele andere, die mir damit besonders
Hochschätzbares spendeten, weil es mir zu sagen
vermochte, dass das Wirken für das Ganze doch ver-

88

standen wird, auch wenn es zeitweilig den Anschein
machen könnte, man habe sich dabei von persönlichen
Beweggründen leiten lassen. Es ist für die Freidorf-
sache viel gewonnen, wenn man sie in ihrer Siedler-
schaft als das erkennt, was sie sein soll: das hoch
über allem Persönlichen Stehende.

Vom Freidorfe weg sein, hiess für mich, wie schon
angedeutet, das Freidorf in ausgedehnter Grösse
sehen. Dass der Verband Schweiz. Konsumvereine die
Genossenschaftssiedelung nicht bei dem Punkte ver-
liess, wo er sie zur schönen Wohnkolonie gemacht,
sondern aus der kleinen Stätte ein weites genossen-
schaftliches Gebiet zu machen wusste, kommt ja fort-
während zum Ausdruck, sei es durch die Bildungs-
bestrebungen des Genossenschaftlichen Seminars (Stif-
tung von Bernhard Jaeggi), sei es durch die Gast-
freundschaft, die Jahr um Jahr Tausende von Genos-
senschaftern im Genossenschaftshause empfangen und
damit empfinden dürfen, dass sie geachtete Glieder
des Verbandes sind und beim Mithelfen am Ausbau
des Genossenschaftswesens nicht vermisst werden
wollen.

Im Juli war es für mich immer etwas Erhebendes,
wenn man mir in der Klinik Tag für Tag von der inter-
nationalen Sommerschule erzählte, die damals im
Freidorfe abgehalten wurde. Aus der weiten Welt
kamen nur die unsäglich traurigen Nachrichten von
den Zerrüttungsvorgängen in wirtschaftlicher und
politischer Hinsicht, so dass es tröstend war, aus dem
kleinen Freidorf zu vernehmen, wie etwa hundert
Menschen aus zahlreichen Ländern sich Belehrung
holten für die Arbeit an einem Wirtschaftswesen, das
nicht mehr den schlechten Geldabsichten, sondern
dem begründeten Bedürfnis der Menschen dienen soll.
Was diese Sommerschule für uns Freidörfler zur Ge-

89

nugtuung und Ehre erhob, war die Begeisterung, die
von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dem Frei-
dorfe, diesem sichtbaren Beweise der genossenschaft-
lichen Gestaltungskraft zum Guten, entgegengebracht
wurde.

Noch anderes wäre erwähnenswert, aber ich über-
gehe es in der Gewissheit, dass diese wenigen Zeilen
genügen, um unsere Siedlerschaft zu weiterer Arbeit
für die Genossenschaftssache anzuregen, wie ich mich
danach sehne, in absehbarer Zeit an ihrer Seite mit-
tun zu können. Dem Freidorf und allen, die dazu ge-
hören, mein herzliches Glückauf zum neuen Jahre!»

*

Noch ein weiteres Zeichen als Ausdruck der Gemein-
kraft der Gesinnung der gesamten Freidorfbevölkerung
möchten wir anführen:

Als am 17. August 1939 Herr Dr. h. c. B. Jaeggi seinen
70. Geburtstag feierte, da überreichte ihm die Bewohner-
schaft des Dorfes, alt und jung, die nachfolgende Adresse:

Dank und Gelöbnis

«Hochverehrter und lieber Jubilar!

Mit ganz besonderer Freude und Anteilnahme ver-
einigen sich die Bewohner der Siedelungsgenossen-
schaft Freidorf — alt und jung —, um Ihnen, dem
Schöpfer und Vater dieses schönen, sozialen und er-
zieherischen Werkes, zu Ihrem vollendeten siebzigsten
Lebensjahr aus vollem Herzen Glück und Segen zu
wünschen.

Am heutigen Tage bewegen uns vor allem Gefühle
der Liebe und der aufrichtigen Dankbarkeit.

Als Sie vor nunmehr 20 Jahren den grossartigen
Plan fassten, die Siedelung Freidorf erbauen zu lassen,
da schwebte Ihnen vor:

90

«Eine Heimstätte der Nächstenliebe,
des Friedens und der Freiheit»
zu schaffen.

Dank Ihrer hervorragenden Führergabe, die Kraft
und Güte miteinander vereint, ist Ihnen Ihr Plan in
weitgehendetn Masse gelungen. Die Siedler fanden
ein Heim, und damit im weiteren Vaterlande eine
Heimstätte, in der sie frei und glücklich sind.

Viele unter uns entdeckten von neuem die leider
schwindende Lust und Freude an der Natur, und da-
mit beginnen sie die ewigen Gesetze im grossen
Lebenskreis zu ahnen, dass, ohne Zusammenstehen
und sich gegenseitig helfen, das Leben der Menschen
untereinander, in Gemeinde und Staat, keinen Be-
stand hat.

Auch wenn die Freidorfbewohner sich in ihrem
äussern Aspekt nicht von anderen Menschengruppen
unterscheiden, so wuchsen sie doch dichter zuein-
ander hin, sie rückten sich näher und sie wurden
geeint.

Sie, verehrter Jubilar, waren in all den Jahren des
gemeinsamen Siedlerlebens uns allen

tatkräftiges und eindrückliches Vorbild.

Daher sei am heutigen Tage unser inniger Wunsch für
Glück und Segen zugleich auch Gelöbnis!»

Auswirkungen des Gemeinschaftswirkens auf die Jugend

«Das Individuum darf nicht nur seiner selbst, seiner eigenen
Vervollkommnung willen ausgebildet werden, sondern man muss
ihm das Wissen vertraut machen, dass es das Beste seines eigenen
Ichs seinen Mitmenschen schuldet, der Gemeinschaft, in welche
es das Leben hineingeboren hat….

91

Darum ist darauf zu dringen, dass schon das Kind unab-
lässig die Beziehung zu seinen Nächsten pflege, dass es sich
stets bewusst sei, Glied und Zelle einer Gemeinschaft zu sein,
die ihm bestimmte Pflichten auferlegt, dass sein Verantwortlich-
keitsgefühl gegenüber den andern immer mehr vertieft werde.
Kurz, dass es die Notwendigkeit der Hilfsbereitschaft
einsehe und ganz erfasse.»22)

Ähnliche Überlegungen waren es, die Dr. K. Munding
bewogen haben, im Jahre 1920 der Verwaltung der Siede-
lung zu beantragen, die Kinder mit der Wohlfahrtskasse
(Batzensparkasse) in engsten Kontakt zu bringen.

Die wöchentliche Sammelaktion ist eine praktische
Übung zur Betätigung von Fürsorge, Hilfe und Dienst-
leistung. Das Verantwortungsgefühl für Werte der Ge-
meinschaft wird geweckt und der Wunsch, gute Arbeit zu
leisten, gefördert. In einer ersten begeisternden Instruk-
tionsstunde wurde ein ernstes Kernwort Carmen Sylvas in
einfachster Weise erklärt: «Was man gut macht, das ist
unsere Kraft. Dienen ist heilige Pflichterfüllung und macht
froh, wenn wir ungebeten einspringen, auch wo man nicht
ausdrücklich hingestellt ist (helfen!). Dienen ist liebhaben.
Denn das ist schliesslich aller Dinge Zweck und Ende, An-
fang und Fortgang: Liebhaben und dienen, weil man lieb
hat, und helfen weil man lieb hat.»

Die kleinen Helferinnen und Helfer haben zwanzig
Jahre hindurch mit Freude, Hingebung und Eifer ihres
Amtes gewaltet und haben so gelernt, die Wichtigkeit der
kollektiven Sparaktion zu verstehen und sie als heute er-
wachsene Glieder der Gemeinschaft tatkräftig zu unter-
stützen. Und eine neue Helfergeneration ist am Heran-
wachsen, um sich später organisch in die Gemeinschaft
einzureihen.

Die Wohlfahrtskasse dient der genossenschaftlichen
Erziehung, weil sie einmal erweist, dass das Geringe nie

92

als zu gering erachtet werden darf, wenn etwas Beträcht-
liches oder Grosses zustande kommen soll, und weil sie
zum andern zeigt, wie durch Ausdauer immer etwas ge-
schaffen werden kann, das Beachtung verdient.

Die Freidorf-«Batzenkasse» ist ein Laboratoriums-
versuch, der dartun will, wie durch Sparen im kleinen der
Weg zur sozialen Kapitalbildung frei gemacht werden
kann. Die unausbleibliche Folge wird eine entsprechende
Steigerung des Gemeinsinnes und Gemeingefühls sein,
während gleichzeitig die Einsicht in die ausserordentlichen
Möglichkeiten genossenschaftlicher Kapitalbildung an-
schauungsweise gefördert wird, und zwar nicht nur in dem
verhältnismässig engen Kreise der Siedelungsgenossen-
schaft, sondern darüber hinausdringend, schliesslich im
Gebiete der gesamten Genossenschaftsbewegung, so Vor-
bild und Antrieb gebend23).

Freizeitbeschäftigung

«In der Freizeit besinnt sich das Individuum auf den
Sinn seines Lebens, das ihm den höheren und tieferen
Sinn seiner Arbeit und des Daseins erschliesst.»24)

Die Siedelungsgenossenschaft Freidorf ist für diese
Feststellung ein lebendiges Beispiel.

Vor aller Augen vollzog sich der Wetteifer, bei der
Anlage und Bepflanzung der Gärten und der zusätzlichen
Pünten. Jedem Beobachter wurde klar, wie gross das Be-
dürfnis des Menschen nach einem Stück Land ist, auf dem
er sich nicht mehr als Entwurzelter fühlen muss. Bei der
Freidorfgründung leuchtete dieser Gedanke voran:


93

«Mit der Verlegung der Wohnstätten ins offene
Land, wo Mensch und Natur enger miteinander Füh-
lung nehmen, Verbindung gewinnen können, wird
einer höheren und gesünderen Kultur der Weg be-
reitet. Die Bewohner des Freidorfes schienen auf ein-
mal nachholen zu wollen, was sie in dieser Hinsicht
während ihres Stadt- und Mietkasernenlebens hatten
versäumen müssen. Tag für Tag wurden die freien
Stunden an die Arbeiten im Garten gegeben. Erst
wurde umgegraben, gesäubert, eingeteilt, dann ge-
pflanzt, gesät, begossen, alles mit dem Erfolge, dass
grünendes, blühendes Leben zu herrschen begann, wo
noch vor wenigen Monaten Bauschutt, Geröll und Un-
kraut ein betrübendes und bedrückendes Bild boten.»25)
Der Wetteifer der Siedler hat nie nachgelassen, was
der auch heute noch prächtige Stand der einzelnen Gärten
nachdrücklich demonstriert.

Es ist schon häufig gesagt worden, die Freizeitbeschäf-
tigung, vor allem im Garten, mache den Arbeiter unwillig
für die Bestrebungen, die den sozialen Aufstieg der unteren
Volksschichten herbeiführen wollen. Freidorf hat diese
Behauptung Lügen gestraft. Die in einer allbekannten
Forderung enthaltenen «acht Stunden Müsse» lassen sich
kaum irgendwie so abwechslungsreich und für die Er-
holung so zweckmässig gewinnen wie beim Hantieren,
Probieren und Studieren im Garten, wo der Körper nach
der oft einseitigen Beanspruchung durch die Berufsarbeit
eine wohltuende Abwechslung erhält und der Geist sich
ausruhen und neue Spannkraft gewinnen kann. Wo dieses
Losreissen vom Einseitigen und Schablonenmässigen mög-
lich ist, wird der Mensch den Fragen der Zeit gegenüber
nicht in Interesselosigkeit verharren, besonders dann nicht,
wenn, wie im Freidorfe, über allem der genossenschaft-

94

liche Gedanke schwebt und zur genossenschaftlichen Tat,
durch die sich vieles, was gemeinschädlich ist, beseitigen
liesse, überleitet.

Auch die Freidorfjugend leistet ihren Freizeitanteil an
der Gemeinschaftsarbeit. Im Volkschor und im Orchester
wirken musikalisch Begabte mit.

Die Studienzirkelbewegung, vom V. S. K. zielbewusst
gefördert, hat auch unsere Dorfjugend ergriffen und dar-
aus eine hoffnungsfreudige Aktion erstehen lassen, die
sich insbesondere während der Notzeit des Krieges segens-
reich auszuwirken beginnt.

Der genossenschaftliche Jugendzirkel Freidorf, der
sich bildete, hat sich verschiedene Aufgaben gestellt:

  1. Gewinnung der Dorfjugend für die Lehre und Aktivität der
    Genossenschaftsbewegung.
  2. Förderung und Unterstützung von Bestrebungen, die auf die
    Schaffung von genossenschaftlichen Jugendzirkeln hinzielen,
    und
  3. Zusammenarbeit mit der Bewegung der schweizerischen Ge-
    nossenschaftsjugend und mit der grössten genossenschaftlichen
    Selbsthilfeorganisation unseres Landes, dem V. S. K. in Basel.

Der genossenschaftliche Jugendzirkel Freidorf sucht
diese Prinzipien zu realisieren, indem er als Mitglied der
Bewegung der schweizerischen Genossenschaftsjugend in
seinem Kreise

  1. ein Programm der Studienzirkel behandelt;
  2. spezielle Veranstaltungen, die mit seinen Aufgaben in engem
    Zusammenhang stehen, durchführt, und
  3. durch neuen Einsatz zum Gelingen des Mehranbaues beiträgt
    und diesbezügliche Veranstaltungen organisiert.

Über die erste gemeinschaftliche Anbauetappe der
Freidorfjugend entnehmen wir einem Berich die folgenden
Angaben:

«Auf unserer früheren Spielmatte herrscht an den Samstagnach-
mittagen reges Leben. Fleissig haben Burschen und Mädchen gehackt,
gesät und gepflanzt, und bereits ist die Vegetation so weit fortge-
schritten, dass ein schönes Resultat zu erwarten ist.

95

Was und wieviel an Saat und Setzlingen wurde dem Boden an-
vertraut? Und wie ist die Arbeit organisiert?

In den Monaten April und Mai wurden auf 1364 m2 bebaubarer
Fläche der Spielwiese folgende Aussaaten gemacht: 140 kg Kartoffeln;
15,000 Stück Setzzwiebeln, 6 kg Buschbohnen, 0,5 kg Sojabohnen.

Ausserdem wurde Rosenkohl und Federkohl angesät. Sie werden
zu Setzlingen gezogen. Der Arbeitseinsatz ist folgendermassen orga-
nisiert: 26 Mitglieder. Eine Kommission von 5 Mitgliedern. Es wur-
den 4 Gruppen gebildet mit je einem verantwortlichen Gruppenchef.
Ferner gibt es einen Samen-, Dünger- und einen Werkzeugobmann.

Die Organisation leitet sich selbst, wird aber beraten durch eine
gartenbaukundige Siedlerin und einen Siedler.»

Wie in der übrigen Schweiz, hat die gemeinsame Not
auch den Freidorfsiedlern zur Bekämpfung des drohenden
Hungers den Weg zum Mehranbau gewiesen. «Die Begei-
sterung des Volkes für dieses Werk zeugt von dem ge-
sunden Glauben und Realitätssinn unseres Volkes. Das
Pflanzland vereint die Familien zu gemeinsamer Hände
Werk.» (Bally a. o. O., S. 31.)

Epilog


Es ist das Zusammen oder Beisammen der einzelnen,
das ihnen sichere Ruhe, das Gefühl des erreichten Zieles
gibt, wie das letzte Ziel der einzelnen zusammenfällt mit
dem Beisammen aller einzelnen. Was jeder einzelne in
sich als einzelner nicht hat, nicht kennt, nicht ahnt, das
tritt auf, entsteht und wirkt durch das Zusammensein oder
Beisammensein mehrerer, vieler einzelner und kommt
doch aus ihnen, aus den einzelnen, aber nicht als einzelner,
sondern als einander Angehörender, einander Hingege-
bener. Das heisst 1 X 1 ist da nicht mehr 2, sondern weit
mehr, oder 2 X 2 ist da wirklich 5 oder mehr, ja eigentlich
ein Unendliches mehr26). Und schon zwei können, was
jeder einzelne von ihnen nicht hat, an- und auseinander
gewinnen, jeder am andern, oder, was der einzelne für sich i)

96

nicht hat, kann er doch dem andern liefern und so je
sicherer, je mehr ihrer sind, die aufhören nur allein für
sich da zu sein, und dazu übergehen, auch für die andern,
für einander da zu sein.

So schon im Bösen, im Verneinen, im Zerstören. Denn
wer von Kind auf einen Gedanken, einen Grundsatz, eine
Handlungsweise als böse scheuen lernte und doch nachher
dabei oder darin ruhig sein kann, der kann das nur sein,
weil er auch andere darin oder dabei findet, mit denen er
sich zusammenführt; nur das gibt ihm die Kraft, auch beim
Bösen Ruhe zu finden, das sonst mit Unruhe zusammen-
fällt, so sehr ist das Zusammen der Quell der Ruhe, des
nach aussen wirkenden Kraftpunktes. Aber das wahre Zu-
sammen ist im Bösen nicht möglich, das letzte Ziel ist da
doch vielmehr das Für-sich-allein-sein, in der Gemeinschaft
mit Gleichgesinnten. Das Zusammen wird nur fest-
gehalten, solange und soweit es der einzelne für sich
braucht. Die wahre grosse Ruhe, die Festruhe kommt nur,
wo sich viele einzelne in dem zusammenfinden, was das
Ruheziel für alle sein kann, und das ist eins mit dem
Guten, die göttliche Gemeinschaft.

Wir treten in eine Periode ein, in der die bewusste
und positive, ja begeisternde Gemeinschaftsarbeit von
massgebender Bedeutung sein wird.

Nicht ohne Grund sagt Ernst von Schenk in der mehr-
fach zitierten Schrift «Gemeinschaft in der Schweiz» S. 18
u. a.: «Nach den masslos übersteigerten Ansprüchen, wie
sie die Gegenwart an einzelne im Volke stellt, droht eine
Ermüdung, die sich wiederum polar ausdrücken wird (wir
haben in der letzten Nachkriegszeit Erfahrungen ge-
sammelt). Die Disziplinierung, die mannigfachen Frei-
heitsbeschränkungen, die sich die Menschheit gefallen
lässt, werden einen masslosen Drang ins «Asoziale», eine
Gemeinschaftsmüdigkeit, eine Tendenz auf Disziplinlosig-

97

keiten im Gefolge haben. Aber auch der Drang nach
neuen Gemeinschaftsformen, der echten Notwendigkeiten
der Gegenwart und Zukunft entspricht, wird auf dem
Boden dieser Ermüdungen die Tendenz zum Wachsen
haben.»

Durch diese Erkenntnisse bestärkt, glauben wir, dass
auch die Freidorfarbeit einen bescheidenen Baustein zur
guten Gemeinschaftsarbeit geleistet hat und noch zu
leisten vermag.

«Wir leben in einer Zeit», so erklärte Dr. B. Jaeggi in
einer seiner Ansprachen an der Generalversammlung der
Siedelungsgenossenschaft — in der, wie vielleicht noch nie,
die Frage ernstlich und mit Recht aufgeworfen wird, wie
den Schwachen geholfen werden kann, den Schwachen
aller Art, den wirtschaftlich Schwachen insbesondere. Alle
möglichen Mittel werden versucht werden. Wir werden
den Weg der Solidarität, der genossenschaftlichen Selbst-
und Gemeinhilfe beschreiten. Die Menschheit wird um-
lernen müssen; sie wird erkennen, dass die Solidarität und
die wahre Selbsthilfe die moderne Betätigungsform der
brüderlichen Liebe ist.»

Wenn alle Menschen den leb'endigen Wunsch hätten,
den Mitmenschen wahrhaft zu dienen, dann würde es auf
der Erde ganz anders aussehen.

98

1)
Je ärmer eine Familie ist, einen desto grösseren Teil des Ein-
kommens muss sie für die Wohnung ausgeben; je mehr Kinder da
sind, desto mehr verlangt der Hausherr von ihr, desto schlechtere
Quartiere muss sie beziehen, desto kränker ist der Nachwuchs, desto
häufiger kommt der Arzt. Wenn von 1777-—1888 in Basel die Zahl der
Häuser um 141 Prozent, die der Einwohner um 364 Prozent wuchs, so
zeigt dies, wie früh das ungesunde Zusammenpferchen begann. Vgl.
A. Müller: «Ein Pestalozzidorf im Baselbiet». «Pro Juventute» Nr. 7,
1922, S. 292.
2)
Vgl. Zweiter Jahresbericht der Siedelungsgenossenschaft Frei-
dorf 1920. S. 5/6.
3)
Die Wurzel des Wortes Genossenschaft finden wir in «Ge-
nosse» und liegt in den gotischen Verben niutan und ganiutan, die
fangen, essen, ernähren und gemessen bedeuten, wobei ganiutan die
gemeinsame Handlung anzeigt und sich ursprünglich auf Fischfang,
Jagd und Kriegsbeute bezieht. Der Zusammenhang von niutan mit
dem lateinischen nutrire (nähren, ernähren) und uti (gebrauchen) ist
leicht herzustellen. So auch bedeutet der deutsche Ausdruck «nutzen»
ursprünglich soviel wie Speise, Nahrung, ebenso das Wort Not. Der
Begriff von geniessen, erklärt Rudolf Hildberand im «Deutschen
Wörterbuch», ist ursprünglich viel weiter, als heute, eine Nutzniessung
aller Art, besonders in Gemeinschaft. (Vgl. Mundings Anm. 58 zu
Schär: Genossenschaftliche Reden und Schriften. Seite 383.) Verlag
V. S.K., Basel.
4)
edel = adelig = Adel; die Edelsten und Besten des Volkes.
5)
Vgl. Lamprecht, Deutsche Geschichte I., S. 122—143.
6)
Munding, unveröffentlichte Manuskripte: Der schweizerische Mensch.
7)
Dr. W. King (1786—1865), ein englischer Arzt, der das soziale
Elend seiner Patienten bekämpfen wollte, kam durch die Schriften
Pestalozzis und seiner Ideen auf den Gedanken, die Arbeit zu orga-
nisieren, d. h. Gemeinschaften von Konsumenten zu bilden, die sich
selbst versorgen. Er gründete Konsumgenossenschaften, ähnlich wie
Pestalozzi sich selbst versorgende Kindergemeinschaften (Produk-
tions- und Konsumgenossenschaften von Kindern) ins Leben rufen
wollte, und zwar auf der Basis von Haus- und Familiengemeinschaften.

Ähnliche Gedanken wie King verfolgten später in Deutschland

V. A. Huber. (1800-1869) und in Italien Giuseppe Mazzini (1805-1872),
die beide, wie King, von H. Pestalozzi und dessen Erziehungskreis
(E. v. Felienberg und Heinrich Zschokke) beeinflusst waren.
8)
H. Pestalozzi: Meine Nachforschungen über den Gang det
Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts (Ausgabe Seyf-
farth, Bd. VII, 1901, S. 388.
9)
Adolf Gasser drückt in seiner neuesten Schrift: «Das Erbe
der Väter» ganz ähnliche Gedanken aus, wenn er sagt: «So steht
denn die freie, wehrhafte Gemeinde in der schweizerischen Staats-
entwicklung als eine Erziehungsanstalt da, der wir im letzten Grunde
alles, wirklich alles verdanken. Vom Geiste der Gemeindefreiheit
führt eine direkte Entwicklungslinie zum Geiste der Genossenschaft,
zum Geiste des Volksrechtes, zum Geiste des politischen Vertrauens,
zum Geiste der politisch-sozialen Verträglichkeit, zum Geiste der
Menschlichkeit.» (S. 7/8, 1943.
10)
Über die Geschichte der Rochdale-Pioniere erzählen recht
anschaulich: Holyoake: Die Geschichte der redlichen Pioniere von
Rochdale; Staudinger: Die Konsumgenossenschaft; Wilbrandt: Die
Bedeutung der Konsumgenossenschaften, welcher Schrift wir in der
Darstellung der Entstehung des Rochdale-Vereins im wesentlichen ge-
folgt sind. Für Kinder ist die Schrift von Isa Nicholson sehr lesens-
wert: Die Geschichte der Konsumvereine in England. Ferner Robert
Schloesser: Holyoakes Geschichte der Rochdale-Pioniere. 347 S. 1928,
Gepag-Verlag, Köln. 28 Männer helfen sich selbst. 16 S. 1942, Verlag
V. S. K., Basel. Sieben Grundsätze erobern die Welt. 16 S. 1942, Ver-
lag V. S. K„ Basel.
11)
->Lange Fussnote über Ralahine
12)
Individualkraft = Kraftstärke 1

Kooperativkraft — Kraftstärke 1 + 1=2
Gemeinkraft = Kraftstärke 1 + 1
nicht bloss addiert, sondern miteinander verbunden, ergibt nicht allein
die Kooperativkraft (1 + 1 = 2), sondern eine neue Kraft, eben die
Gemeinkraft (Mittelkraft), die einer Kraftstärke x entspricht und
grösser ist als die Summe der blossen Kooperativkraft.
13)
Der Güterumsatz der dem V. S. K. angeschlossenen 546 Ver-
bandsgenossenschaften weist einen Jahresumsatz von über 400 Mil-
lionen Franken auf; jährlich werden an die 430,000 Mitgliederfamilien
über 23 Millionen Franken Rückvergütung als Preisersparnis aus-
geschüttet.
14)
Nach dem im Jahre 1932 erfolgten Tode J. Freis übernahm
O. Zellweger, Vizepräsident der Direktion des V. S. K., das Präsidium
der Freidorfverwaltung, die unter seiner sicheren und gütigen Leitung
schöne Früchte zeitigte.
15)
Aus gesetzgeberischen Gründen wurde die Spar- und Hilfs-
kasse im Jahre 1936 in «Wohlfahrtskasse» umgetauft. Im Volksmund
des Freidorfes heisst sie jedoch immer noch die «Batzensparkasse».
16)
Uber diese erste Weihnachtsfeier im Genossenschaftshaus lesen
wir im 4. Jahresbericht der Siedelungsgenossenschaft Freidorf vom
Jahre 1923 folgendes: «Als am 24. Dezember die Glocke im kaum auf-
gerichteten Turme die Bewohner des Freidorfes zur ersten Fest-
gemeinde, zur Weihnachtsfeier, ins offene Genossenschaftshaus zu-
sammenrief, wurde buchstäblich wahr, was in Schillers erhabenem
Lied von der Glocke steht: «Friede sei ihr erst’ Geläute!» Welche
offizielle Einweihungsfeier dem Genossenschaftshaus noch zuteil wer-
den mag, jedenfalls hat es am Heiligen Abend einen unvergesslichen
Weiheakt empfangen, wie es auch als ein gutes Omen gelten darf, dass
im noch unvollendeten Bau der Liebe und Freude ein Fest bereitet
wurde.»
17)
Die Tabelle auf Seiten 78/79 wurde noch nicht übertragen
18)
Dr. Wilhelm Keller: Vom Wesen der Gemeinschaft, aus: Ge-
meinschaft in der Schweiz. 1943, S. 7, 8, 13 und 14. Herausgeber:
Arbeitsgruppe des Forum Helveticum.
19)
Vgl. Keller, a. a. O., S. 14.
20)
Naef K., in: Gemeinschaft in der Schweiz, S. 63.
21)
Aus der Ansprache des Siedelungspräsidenten O. Zellweger am 24. August 1939.
22)
Prof. E. Calgari: Schule und Gemeinschaft. Aus: Gemeinschaft in der Schweiz, S. 94 f.
23)
Vgl. auch S. 61—65.
24)
Bally: Der einzelne als Mitmensch, aus: Gemeinschaft in der Schweiz.
25)
Jahresbericht der Siedelungsgenossenschaft Freidorf, 1921, S. 3.
26)
Vgl. S. 40: Individualkraft, Kooperativkraft und Gemeinkraft!
oeffentlich/25jahre/vom_inneren_aufbau.txt · Zuletzt geändert: 2022/05/13 10:55 von pop

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